Die Grosse Moschee von Cordoba zwischen Christianisierung und Re-Islamisierung
Die Grosse Moschee von Córdoba prägte die ersten zwei Jahrhunderte frühislamischer Architektur in al-Andalus entscheidend mit und bleib auch nach dem Fall des umaiyadischen Kalifats 1031 zentraler Bezugspunkt westislamischer Sakralbauten. 1236 fällt Córdoba zurück an die Christen und die Moschee wird zur Kathedrale. Die schrittweise Christianisierung des islamischen Baus und seine anschliessende Re-Islamisierung werden im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Habilitationsprojektes Bauen und Erhalten in al-Andalus gegenwärtig untersucht.
Der Neubau der Grossen Moschee von Córdoba
Die rund zweihundertjährige Baugeschichte der Cordobeser Hauptmoschee ist hinreichend bekannt und soll hier nur kurz erläutert werden (1). Um 785 lässt der aus Syrien geflohene Umaiyade Abd ar-Rahman I. (reg. 756-788), Begründer des westumaiyadischen Emirats, die damalige Moschee durch einen 11-schiffigen Neubau ersetzen (Abb. 1). Rund fünfzig Jahre später, zwischen 833 und 848 kommt es unter Abd ar-Rahman II. (reg. 822-852) zur ersten Erweiterung des zu klein gewordenen Betsaal. Abd ar-Rahman III. (reg. 912-961), der am 16 Januar 929 den Kalifentitel annahm, veranlasste schliesslich die Erweiterung des Moscheehofs und den Neubau des Minaretts, während sein Sohn und Nachfolger al-Hakam II. (reg. 961-976) den Betsaal in den Jahren 962 bis 971 ein weiteres Mal vergrössern und prachtvoll ausstatten liess. Ihr endgültiges Aussehen erlangte die Cordobeser Hauptmoschee 987/988, als Abu Amir Muhammad al-Mansur bi’llah (reg. 978-1002), allmächtiger Grosskämmerer Hishams II. (reg. 976-1009), Hof und Betsaal um acht Joche nach Osten erweitern liess.
Die Christianisierung der Cordobeser Hauptmoschee
Am 29. Juni 1236 gelang den kastilischen Heeren die Rückeroberung Córdobas. Nach rund fünf Jahrhunderten islamischer Okkupation übergab der Almohade Abu’l-Hasan als letzter islamischer Herrscher Córdobas, Fernando III. die Schlüssel der Stadt.
Wie Manuel Nieto Cumplido in seiner 1998 erschienenen Monographie La Catedral de Córdoba berichtet, liess Fernando III. anlässlich des feierlichen Einzugs in die einstige Hauptstadt des westumaiyadischen Kalifats ein Kreuz vorweg tragen, als Zeichen für die Überwindung des Islam. Gefolgt von den königlichen Insignien, schien die Wiedereinrichtung des christlichen Glaubens wichtiger zu sein als die territoriale Ausdehnung Kastiliens. Auf die Inbesitznahme der Stadt folgte diejenige der Hauptmoschee: Kreuz und königliches Banner wurden auf dem Minarett angebracht und manifestierten den Macht- und Religionswechsel. Die Moschee wurde 'purifiziert', der Mutter Gottes geweiht und dem katholischen Kult übergeben (2).
Die Christianisierung des islamischen Betsaales erfolgte schrittweise (3). Auf die Schliessung der zum Hof hin offenen Bogenarkade folgte die Errichtung von Kapellen entlang der inneren Betsaalumfassung, am bedeutendsten sicherlich die Capilla de San Pedro im einstigen Vormihrabkompartiment, das Baptisterium, an der Stelle der heutigen Capilla de la Concepción, sowie die unter Alfonso X. vor 1262 als Capilla Real gegründete Capilla de San Clemente im östlichen Qibla-Bereich (4). Neben einer Vielzahl von Altären, die über den gesamten Betsaal verteilt wurden, entstand in dem noch heute Capilla de Villaviciosa genannten ersten Mittelschiffsjoch der al-Hakam-Erweiterung und den westlich anschliessenden Jochen die erste Capilla Mayor (Abb. 2).
Trotz dieser Eingriffe, gingen die christlichen 'Reconquistadoren' bei der Adaptation der einstigen Moschee an ihre neue Zweckbestimmung erstaunlich zurückhaltend vor. Die Grunddisposition des Cordobeser Baus wurde vorerst gewahrt. Es hat fast den Anschein, als sei die einstige Umaiyadenmoschee einem Denkmal gleich verehrt und gepflegt worden. Und dies nicht nur von den islamischen Herrschern Córdobas, sondern auch von den christlichen. So liess Alfonso X. in der zweiten Hälfte des 13. Jh. eine Reihe von Konsolidierungs- und Restaurierungsmassnahmen durchführen und ging sogar soweit, dass er der Geschichte um beinah 600 Jahre vorgriff und die Erhaltung und den Schutz der Grossen Moschee von Córdoba verordnete (5).
Eine Erklärung für diese überraschend moderne Handlungsweise muss in der über die islamische Zeit hinaus bestehenden Bewunderung der Zeitgenossen für die Cordobeser Hauptmoschee gesucht werden; während Jerónimo Sánchez sie in seiner um 1450 verfassten Descriptio Cordube den sieben Weltwundern gleichsetzte, und als „gloria de España y señal distintiva del honor de Córdoba“ (6) bezeichnete, führte Ambrosio de Morales in seinen Antigüedades de las Ciudades de España von 1575 seine Ausführungen zur Cordobeser Hauptmoschee wie folgt ein:
„Edificaron tambien alli la gran mezquita, que agora es la iglesia mayor, y por ser uno d[e] los mayores, mas estraños y mas sumptuosos edificios, que se halla en el mundo, sera mucha razon escreuir aqui della, todo lo que conuiene, para que quié[n] no la ha visto, la pueda en alguna manera gozar.”(7)
Die weitere Geschichte der Grossen Moschee von Córdoba zeigt allerdings, dass der Respekt gegenüber dem ehemals islamischen Bau nicht von allen geteilt wurde, am wenigsten sicherlich vom 1519 in Córdoba eingetroffenen Bischof don Alonso Manrique (1516-1523), Protegé Kaiser Karls V., der mit dem Bau und seiner wechselvollen Vergangenheit nur wenig vertraut war (8). Unter dem Eindruck der zu jener Zeit im übrigen Spanien entstehenden bzw. entstandenen Kathedralbauten und in Absprache mit dem damaligen provisor Ponce de León, iniziierte er 1521 ein Projekt zum Bau einer neuen Capilla Mayor mit westlich anschliessender Vierung und Chor im Zentrum des umaiyadischen Betsaals und nicht wie bisher „al rincón de la iglesia“, in der Ecke der Kirche (9) (Abb. 3).
Vom Domkapitel, der Stadtregierung und der Cordobeser Bevölkerung wurde dieses von einem ‚Auswärtigen’ auferlegte Projekt vehement bekämpft, der Stadtrat ging sogar soweit, dass er für Maurer, Steinmetzen, Zimmerleute und Hilfsarbeiter, die sich am partiellen Abbruch der Moschee beteiligen sollten, zeitweilig die Todesstrafe verhängen liess (10).
Vermitteln konnte nur noch Karl V., der sich auf die Seite Manriques stellte, seinen Entscheid aber bei einem Besuch in Córdoba 1526 bitter bereut haben soll (11). Die unter der Leitung von Hernán Ruiz I. im April 1523 begonnenen Arbeiten wurden auf Befehl des Kaisers fortgesetzt. 1607 unter Bischof fray Diego de Mardones nach über 80-jähriger Bauzeit vollendet (12), trugen einige der damals bedeutendsten spanischen Architekten zur Entstehung einer der umstrittensten spanischen Kathedralbauten bei. Die Dächer der einstigen Moschee um ein Vielfaches überragend, erinnert der Einbau bis heute an den Sieg der Christen über die Muslime (Abb. 4).
Die Christianisierung der einstigen Moschee ging aber noch weiter: 1593 fällte das Domkapitel den Entscheid zur Erneuerung des baufälligen und beim Unwetter von 1589 beschädigten Minaretts (13). Unter Hernán Ruiz III. begonnen und 1664 nach zahlreichen Komplikationen vollendet, trat an die Stelle des kalifal-Cordobeser Minaretts ein christlicher Glockenturm und aus dem einstigen Symbol westumaiyadischer Herrschaft wurde das weit hin sichtbare Symbol der katholische Kirche (Abb. 5).
Von der Christianisierung zur Re-Islamisierung
Im 19. Jh. wurde Córdoba mit seinen islamischen Bauten zum Sehnsuchtsziel vieler Reisender, die ihre Eindrücke, Beobachtungen und Erlebnisse in Bild und Wort festhielten (14). Auf der Suche nach der einstigen Pracht des umaiyadischen Córdobas, fielen ihre Berichte über die nachislamischen Eingriffe nicht immer positiv aus. So findet Théophile Gautier in seinem 1843 erschienenen Werk Voyage en Espagne kaum versöhnliche Worte zum Cordobeser Kathedraleinbau:
„Malheureusement cette magnifique perspective est obstruée aujourd’hui par l’église catholique, masse énorme enfoncée lourdement au coeur de la mosquée arabe. Des retables, des chapelles, des sacristies, empâtent et détruisent la symétrie générale. Cette église parasite, monstrueux champignon de pierre, verrue architecturale poussée au dos de l’édifice arabe, a été construite sur les dessins de Hernán Ruiz, et n’est pas sans mérite en elle-même; on l’admirerait partout ailleurs, mais la place qu’elle occupe est à jamais regrettable.” (15)
Nicht nur das Ausland schien die architektonische und kulturgeschichtliche Bedeutung der einstigen Hauptmoschee von Córdoba erkannt zu haben. Während Bischof Pedro Antonio de Trevilla, 1815-1819 die Wiederherstellung des ursprünglichen Vormihrab- und des westlichen Maqsurakompartimentes veranlasste (Abb. 6), möglicherweise unter dem Einfluss des Franzosen Alexandre de Laborde sowie des aus Lugano stammenden Architekten Nicolás Duroni, damaligem Vorsteher der Kathedralbauhütte (16), wurden unter der Leitung von Vicente Cándido López zwischen 1862 und 1868 die im 18. Jh. weiss getünchten Betsaalarkaden im Bereich des Gründungsbaus sowie der Erweiterungen Abd ar-Rahman II. und al-Hakam II. vom Putz befreit und in ihrer ursprünglichen Farbgebung rekonstruiert. Ab 1875 kam es schliesslich unter Bischof fray Zeferino González (1875-1883) zum Abbruch des barocken Tonnengewölbes in der Capilla de Villaviciosa und zur Freilegung des unter al-Hakam II. um 965 entstandenen Rippengewölbes (Abb. 7).
Ähnlich wie im übrigen Europa, wurde die Notwendigkeit einer Denkmalschutzbehörde und entsprechender Gesetze erst offensichtlich, als es beinah schon zu spät war. Während unkontrollierte Wiederherstellungsmassnahmen, die Vergangenheit vieler Bauten auslöschte, führten das ersten Desamortisationsgesetz der Regierung Juan Alvarez Mendizábals vom 19. Februar 1836 sowie das knapp zwanzig Jahre jüngere Gesetz des Finanzministers Pascual Madoz vom 1. Mai 1855, die die Aufhebung der Besitzansprüche von Kirche und Kommunen und den sukzessiven Verkauf kirchlicher und kommunaler Liegenschaften bewirkten (17), zu bisher kaum vergleichbaren Verlusten des spanischen Kulturbestandes. Alarmiert von den Folgen der Desamortisation begann sich Widerstand gegen die Veräusserung und Zerstörung von Klöstern, Kirchen und Kommunalbauten hörbar zu machen.
Eine Schlüsselposition für die Durchsetzung von Denkmalschutznormen und -gesetzen übernahm ab 1836 die Real Academia de Bellas Artes de San Fernando (18). Der entscheidende Schritt für die spanische Denkmalpflege erfolgte aber erst 1844, als es unter der gemässigten Regierung des Generals Narváez zur Einführung der Comisión Central de Monumentos Históricos y Artísticos, die 1857 der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando unterstellt wurde, und den der Zentralkommission untergeordneten Comisiones Provinciales kam (19). Nach dem Modell der 1837 in Frankreich entstandenen Commission des Monuments historiques (20), konnten die mehrmals umstrukturierten Comisiones de Monumentos, trotz ihrer Bedeutung für die Geschichte der spanischen Denkmalpflege, den Erwartungen nicht gerecht werden (21).
Der Einfluss Frankreichs auf das benachbarte Spanien wirkte sich nicht nur auf die Organisation der neuen Denkmalschutzbehörde aus, sondern auch auf die Gesetzgebung und Restaurierungspraxis. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Theorien Viollet-le-Ducs (1814-1879) in Spanien Fuss zu fassen und bestimmten bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts die spanische Denkmalpflege (22). Die in dieser Zeit durchgeführten Restaurierungsarbeiten waren getrieben vom Wunsch nach Stileinheit und schreckten auch vor umfassenden Neuschöpfungen nicht zurück. Jéronimo Martorell, damaliger Leiter des catalanischen Servicio de Conservación y Catalogación de Monumentos (Diputación barcelonesa), sprach 1919 zurecht von „proyectos de fántasticas reconstituciones“ (23).
Die gesetzliche Grundlage dieser ‚fantastischen Wiederherstellungen’ bildete der auf Antrag der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando durchgesetzte Real Orden vom 4. Mai 1850, der jeglichen Eingriff an öffentlichen Gebäuden ohne vorherige Absprache mit den oben erwähnten Comisiones de Monumentos untersagte. Wenn aber zum Erhalt der Bauten restauratorische Eingriffe nötig waren und diese bewilligt wurden, so waren sie wie folgt auszuführen:
„...se respete el pensamiento primitivo, acomodando las renovaciones al cáracter de la fábrica, y procurando que las partes antiguas y las modernas se asemejen y parezcan de una misma época.“ (24).
Welche Folgen dieses gesetzlich vorgeschriebene ’Vertuschen’ restauratorischer Eingriffe hatte, zeigen die Arbeiten des Architekten Ricardo Velázquez Bosco (1843-1923) in Córdoba (25). Obwohl die Hauptmoschee am 21. November 1882 zum Monumento Nacional Histórico y Artístico erklärte und unter staatlichen Schutz gestellt wurde (26), hatte Velázquez Bosco aufgrund seines Renommees im Grunde freie Hand (27). Von 1887 bis zu seinem Tod 1923 Leiter der Cordobeser Bauhütte, dokumentieren die unter Velázquez Bosco geplanten und durchgeführten Restaurierungsarbeiten die damals vorherrschende Denkmalpflegepraxis (28).
Während die katholische Kirche seit der Rückeroberung Córdobas 1236 die Moschee zusehends in ein christliches Gotteshaus verwandelt hat, strebte Velázquez Bosco an der Wende zum 20. Jahrhundert die Re-Islamisierung der Cordobeser Kathedrale an. Geprägt von den Theorien Viollet-le-Ducs und in Einklang mit dem oben zitierten Gesetzesparagraph 'befreite' Velázquez Bosco die Moschee von zahlreichen christlichen Kapellen und Altären, die ihm zufolge die ‚Einheit und Harmonie des Baus zerstörten’ (29).
Bisher sind 18 Restaurierungsprojekte von Velázquez Bosco bekannt, die sich heute im Archivo Central de la Administración in Alcalá de Henares bei Madrid befinden. Zu seinen umstrittensten Eingriffen gehört neben der Rekonstruktion eines archäologisch nicht belegbaren Marmorpaviments in Teilen des Betsaals und des Hofes, die Rekonstruktion der bemalten Holzdecke im Bereich der al-Hakam-Erweiterung, die den Abbruch der um 1720 entstandenen barocken Tonnengewölbe erforderte und nach heutigen Untersuchungen zu tief hängt. Nicht weniger problematisch war die 1907 begonnene Säuberung der Capilla de Villaviciosa, die bis zur Errichtung der zweiten Capilla Mayor im 16. Jh. das liturgische Zentrum der Cordobeser Kathedrale bildete. Heute vollkommen leer geräumt und in weiten Teilen ihres Dekors rekonstruiert, vermittelt die Capilla de Villaviciosa zwar einen ungefähren Eindruck des einstigen unter al-Hakam II. entstandenen Betsaalbereiches, erinnert aber gleichzeitig an den Verlust ihrer über 600-jährigen nachislamischen Geschichte (Abb. 8).
Ähnlich sieht es am Aussenbau aus, wo Velázquez Bosco in Zusammenarbeit mit dem Steinmetz Mateo Inurria die Mehrzahl der stark zerstörten Aussenportale der Ost- und Westfassade ab 1908 fast vollständig rekonstruiert hat. Obwohl sich Velázquez Bosco an der unter al-Hakam II. entstandenen Puerta del Tesoro/del Chocolate orientierte und die ursprünglichen Materialien und Techniken weitgehend wahrte, ist der Vergleich vor und nach der Restaurierung Beleg genug für die mit heutigen Massstäben kaum zu vereinbarende Wiederherstellung eines hypothetischen Urzustandes (Abb. 9, 10).
Die antirestauratorischen Theorien John Ruskins (1819-1900) und Camillo Boitos (1836-1914) fanden in Spanien erst um 1915 grössere Verbreitung (30). Neben dem bereits genannten Jerónimo Martorell war es besonders der damals noch junge Leopoldo Torres Balbás (1888-1960), von 1923 bis 1936 leitender Architekt der Restaurierungsarbeiten in der Alhambra von Granada und 1931 Vertreter Spaniens bei der Carta von Athen (31), der zum Vorkämpfer einer neuen Generation von Denkmalpflegern wurde (32).
Der von Torres Balbás vertretene Standpunkt wirkte wesentlich auf das am 13. Mai 1933 in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Carta von Athen (33) verabschiedete Gesetz zum Schutz und zur Erhaltung des Patrimonio Histórico-Artístico Nacional, das bis 1985 die gesetzliche Grundlage für die spanische Denkmalpflege bildete (34). Der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattgefundene Wandel im Umgang mit Kulturgütern manifestiert sich im Artikel 19 des besagten Gesetzes, der jegliche Wiederherstellung untersagt,
“...limitándose a restaurar lo que fuera absolutamente indispensable y dejando siempre reconocibles las adiciones.“ (35).
Der mit dem Gesetz von 1850 begonnene Prozess der Ausbildung verbindlicher Denkmalschutznormen fand 1933 anscheinend seinen Abschluss – wären nicht der spanische Bürgerkrieg von 1936-1939 und die anschliessende Franco-Diktatur (1939-1975) gewesen, die eine vollkommen neue Ausgangslage schufen. Während ausgewiesene Spezialisten wie Torres Balbás ihres Amtes enthoben wurden, fand trotz der gegensätzlichen Gesetzgebung eine Rückbesinnung auf pro-restauratorische Tendenzen statt (36). Gleichzeitig führte der von der Franco Administration ab 1940 geförderte Massentourismus zu gravierenden Problemen für die Monumente und ihre Erhaltung, mit deren Folgen die spanische Denkmalpflege noch heute zu kämpfen hat (37).
Die Grosse Moschee von Córdoba zwischen Christianisierung und Re-Islamisierung
Um 785 gibt Abd ar-Rahman I. den Befehl zum Neubau der Cordobeser Hauptmoschee. 1236 gelingt Fernando III. von Kastilien die Rückeroberung Córdobas und die Moschee wird zur Kathedrale. Die schrittweise Christianisierung des islamischen Baus gipfelt im 16. Jahrhundert mit der Errichtung der zweiten Capilla Mayor. 1891 setzen die Restaurierungsarbeiten unter der Leitung des Architekten Ricardo Velázquez Bosco ein, die die Re-Islamisierung der einst christianisierten Moschee entscheidend vorantreiben. Die Dualität des heutigen Baus, zur Hälfte Moschee, zur Hälfte Kathedrale, wurde von Gabriel Ruiz Cabrero treffend analysiert:
„En estas páginas llamamos a este edificio Mezquita-Catedral [...] porque recoge la doble condición del mismo; una Mezquita para la arqueología y una Catedral por su uso.“ (38).
Als Denkmal der wechselvollen Geschichte Córdobas dokumentiert die Mezquita-Catedral die neuzeitliche Adaptation mittelalterlicher Bauten in einer sich verändernden Gesellschaft.
Literatur
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Anmerkungen
Beim vorliegenden Aufsatz handelt es sich um die schriftliche Fassung eines Vortrages, den die Autorin am 16. März 2007 anlässlich des XXIX. Deutschen Kunsthistorikertages in Regensburg gehalten hat. Mit dem Begriff Re-Islamisierung ist im Folgenden nicht die Rückführung der Cordobeser Kathedrale zum islamischen Kult gemeint, sondern vielmehr ihre formale Re-Islamisierung.
(1) Vgl. etwa Terrasse 1932, S. 53-82, 104-151, 165; Gómez-Moreno 1951, S. 19-44, 47-51, 56-59, 77-82, 91-165; Torres Balbás 1952, S. 5-100; Marçais 1954, S. 135-151; Torres Balbás 1957, S. 342-370, 386-413, 415-416, 465-587; Golvin 1979, S. 21-92; Ewert et al. 1997, S. 70-81; Nieto Cumplido 1998, S. 21-312.
(2) Nieto Cumplido 1991, S. 34-66; Nieto Cumplido 1998, S. 333-338.
(3) Capitel 1985; Moneo 1985, S. 32-35; Nieto Cumplido 1998, S. 341-614.
(4) Nieto Cumplido 1998, S. 366-367, 379-381.
(5) Ecker 2003.
(6) Nieto Cumplido 1998, S. 319-326.
(7) Morales 1575, folio 119 v. Deutsche Übersetzung (F. Giese-Vögeli): „Sie erbauten hier auch die Grosse Moschee, die jetzt die Hauptkirche ist, und weil es einer der grössten, sonderbarsten und prachtvollsten Bauten ist, die es auf der Welt gibt, macht es viel Sinn, hier alles von ihr aufzuschreiben, was nützlich ist, damit derjenige, der sie nicht gesehen hat, sich in irgendeiner Weise an ihr erfreuen kann.”.
(8) Biographische Angaben zu Bischof don Alonso Manrique gemäss Nieto Cumplido 1998, S. 501-502.
(9) Nieto Cumplido 1998, S. 503.
(10) Torres Balbás 1952, S. 106; Golvin 1979, S. 43; Nieto Cumplido 1998, S. 503-507.
(11) Golvin 1979, S. 43.
(12) Nieto Cumplido 1998, S. 522.
(13) Torres Balbás 1952, S. 97; Nieto Cumplido 1998, S. 590-603.
(14) Nieto Cumplido 1984, S. 84-86; García Mercadal 1999; Avila Granados 2006.
(15) Gautier 1843/1924, S. 313.
(16) Nieto Cumplido 1998, S. 272.
(17) Carr 1975, S. 155-256.
(18) Ordieres Díez 1995, S. 69-73.
(19) Ordieres Díez 1995, S. 73-94.
(20) Leniaud 1994, S. 34.
(21) Martorell 1919, S. 155; Torres Balbás 1919.
(22) Torres Balbás 1932, S. 23; Torres Balbás 1933a, S. 67; Torres Balbás 1933b, S. 2-4; Martinez de Carvajal 1989, S. 48; Ordieres Díez 1995, S. 119-120.
(23) Martorell 1919, S. 154.
(24) Ordieres Díez 1995, S. 32. Deutsche Übersetzung (F. Giese-Vögeli): “...ihr ursprünglicher [Bau]gedanke ist zu respektieren, indem die Renovationen dem Charakter des Bauwerks angepasst werden und erreicht wird, dass die bestehenden und die modernen Partien sich angleichen und aus der selben Epoche zu stammen scheinen.“.
(25) Zur Person und den vielseitigen Tätigkeiten des Architekten Ricardo Velázquez Bosco vgl. Baldellou Santolaria 1990.
(26) Nieto Cumplido 1998, S. 272.
(27) Ordieres Díez 1995, S. 196.
(28) Ruiz Cabrero 1985; Ordieres Díez 1995, S. 194-200.
(29) Ordieres Díez 1995, S. 194.
(30) Ordieres Díez 1995, S. 126. Zur Bedeutung Boitos vgl. Martinez de Carvajal 1989, S. 49.
(31) Torres Balbás 1933a.
(32) Torres Balbás 1918, 1919, 1932, 1933a, 1933b.
(33) Conservation 1933, S. 448-478.
(34) Ordieres Díez 1995, S. 36-41.
(35) Ordieres Díez 1995: 41. Deutsche Übersetzung (F. Giese-Vögeli): „...sich auf die Restaurierung des absolut notwendigen zu beschränken und die Ergänzungen immer erkennbar zu lassen.“.
(36) Ordieres Díez 1995, S. 157. Vgl. etwa den unter der Leitung des Architekten Víctor Caballero Ungría im April 1975 erfolgten Abbruch der barocken Tonnengewölbe in den Betsaalbereichen Abd ar-Rahmans I. und II. und ihre Substituierung durch hölzerne Flachdecken, Capitel 1985, S. 46, Ruiz Cabrero 1985, S. 49, 56 sowie Nieto Cumplido 1998, 73-74.
(37) Die durch den Tourismus bedingten Probleme für die Erhaltung und Administration islamischer Bauten im heutigen Spanien wurde von Victoria Chamarro am Beispiel der Alhambra in Granada ausführlich untersucht, vgl. Chamarro 2006.
(38) Ruiz Cabrero 1985, Anm. 1. Deutsche Übersetzung (F. Giese-Vögeli): „Auf diesen Seiten nennen wir dieses Bauwerk Mezquita-Catedral [...] weil es die doppelte Rolle desselben erfasst; eine Moschee für die Archäologie und eine Kathedrale durch seinen Gebrauch.“.
Abbildungen
Abb. 1: Córdoba, Grosse Moschee, Rekonstruktion des ursprünglichen Grundriss durch Ch. Ewert
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Abb. 2: Córdoba, Grosse Moschee, Grundriss mit christlichen Einbauten, (1) erster Kathedraleinbau, (2) zweiter Kathedraleinbau
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Abb. 3: Córdoba, Grosse Moschee, zweiter Kathedraleinbau (2), Blick in die Vierungskuppel
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Abb. 4: Córdoba, Grosse Moschee, Luftaufnahme von Westen
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Abb. 5: Córdoba, Grosse Moschee, Glockenturm
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Abb. 6: Córdoba, Grosse Moschee, Vormihrabkompartiment, heutiger Zustand
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Abb. 7: Córdoba, Grosse Moschee, Capilla de Villaviciosa, Non-radiales Rippengewölbe
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Abb. 8: Córdoba, Grosse Moschee, Capilla de Villaviciosa, heutiger Zustand
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Abb. 9: Córdoba, Grosse Moschee, Ostfassade, Puerta de San Nicolás vor der Restaurierung durch Velázquez Bosco
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Abb. 10: Córdoba, Grosse Moschee, Ostfassade, Puerta de San Nicolás, heutiger Zustand
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Abbildungsnachweis
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Abb. 1: Córdoba, Grosse Moschee, Rekonstruktion des ursprünglichen Grundriss durch Ch. Ewert (aus: Ewert et al 1997, Abb. 1).
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Abb. 2: Córdoba, Grosse Moschee, Grundriss mit christlichen Einbauten, (1) erster Kathedraleinbau, (2) zweiter Kathedraleinbau (aus: Marçais 1954, Abb. 86).
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Abb. 3: Córdoba, Grosse Moschee, zweiter Kathedraleinbau (2), Blick in die Vierungskuppel (Aufnahme F. Giese-Vögeli, 2006).
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Abb. 4: Córdoba, Grosse Moschee, Luftaufnahme von Westen (aus: Ewert et al. 1997, Taf. 1a).
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Abb. 5: Córdoba, Grosse Moschee, Glockenturm (Aufnahme F. Giese-Vögeli, 2000).
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Abb. 6: Córdoba, Grosse Moschee, Vormihrabkompartiment, heutiger Zustand (Aufnahme F. Giese-Vögeli, 2006).
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Abb. 7: Córdoba, Grosse Moschee, Capilla de Villaviciosa, Non-radiales Rippengewölbe (Aufnahme F. Giese-Vögeli, 2006).
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Abb. 8: Córdoba, Grosse Moschee, Capilla de Villaviciosa, heutiger Zustand (Aufnahme F. Giese-Vögeli, 2006).
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Abb. 9: Córdoba, Grosse Moschee, Ostfassade, Puerta de San Nicolás vor der Restaurierung durch Velázquez Bosco (aus: Torres Balbás 1957, Abb. 387).
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Abb. 10: Córdoba, Grosse Moschee, Ostfassade, Puerta de San Nicolás, heutiger Zustand (Aufnahme F. Giese-Vögeli, 2006).