Hotelarchitektur als Erfolgsfaktor: Die Dynamik schweizerischer Hotelarchitektur am Beispiel zweier Bauphasen des Hotels Schweizerhof in Interlaken.
Im Februar 1971 fiel das Hotel Schweizerhof in Interlaken einem Brand zum Opfer. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Betrieb während mehr als 100 Jahren als gut geführtes, erstklassiges Hotel am Höheweg behaupten können. Der Übergriff der Flammen auf das benachbarte Hotel Jungfrau sowie auf die Dependance und den angebauten prachtvollen Speisesaal konnte verhindert werden – eine Wiederbelebung der Nebengebäude erfolgte jedoch nicht, was den zunehmenden Zerfall dieser Bauten nach sich zog. Der jahrzehntelangen Kontroverse um Rettung oder Instandsetzung des Speisesaals setzte letztendlich der massive Befall durch Hausschwamm ein Ende, der den raschen Abbruch des Saals erforderlich machte.
Während der Dokumentation der Nebengebäude, die vor dem Abbruch des Saals im Sommer 2004 durch die kantonale Denkmalpflege vorgenommen wurde, kam ein wahrer Fundus alter Dokumente zum Vorschein – Baupläne der verschiedenen Bauphasen des Hotels ebenso wie Handwerker-Abrechnungen und Buchhaltungsunterlagen. Erfreulicherweise konnten sogar die originalen Baupläne des ursprünglichen Hotels von 1855 gesichert werden.
Vom professionell geführten Hotel im Schweizer Holzstil zum Palasthotel
Mitte des 19. Jahrhunderts als professionell geführtes Hotel im Schweizer Holzstil erbaut (Abb.1), entwickelt sich das Hotel Schweizerhof gegen Ende des Jahrhunderts zum noblen, höchsten Ansprüchen genügenden Palasthotel (Abb. 2). Eine solche Entwicklung ist typisch für die schweizerische Hotelarchitektur des 19. Jahrhunderts und ist bezeichnend für die dynamische und innovative Ausprägung dieser Baugattung. Um den Anforderungen der Gäste genügen und der Konkurrenz in der Hotellerie standhalten zu können sind Hotelbesitzer und ihre Architekten gezwungen, bei der Gestaltung des Hotels auf den jeweils vorherrschenden Zeitgeist, auf die sich rasch und markant ändernden sozialen Bedingungen sowie auf die architektonischen und bautechnischen Strömungen zwischen Klassizismus und Historismus unmittelbar zu reagieren. Wie kaum eine andere Baugattung orientiert sich die Hotelarchitektur ab Mitte des 19. Jahrhunderts am Puls der Zeit.
Der Bau des Hotels Schweizerhof 1855/56
Bis in die 1840er-Jahre beherrschen biedermeierliche Gasthöfe und klassizistische Pensionen das Bild des von Nussbäumen gesäumten Höhewegs in Interlaken. Auf Grund der grandiosen Sicht auf die Jungfrau ist der Höheweg für Tourismusbauten sehr beliebt – die frühen Gasthöfe sind jedoch äusserlich noch kaum von Wohnhäusern zu unterscheiden. 1855 entschliesst sich Johann Strübin-Müller zum Bau eines Hotels am Höheweg und beauftrag den bekannten, im Hotelbau erfahrenen Burgdorfer Architekten Robert Roller (sen.) mit der Planung. Der Neubau ist durch Form, Gestaltung und Disposition deutlich als stattlicher, dreigeschossiger Hotelbau erkennbar (Abb. 1).
Das Raumangebot der Zimmer in den Obergeschossen ist vorbildlich auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet, ebenso die Konzeption der Gesellschaftsräume im Erdgeschoss. Die Küche ist in einem eingeschossigen, rückwärtigen Anbau untergebracht (Abb. 3). Einen besonderen Blickfang stellt der mehrstöckige Balkonvorbau im «modernen» Schweizer Holzstil dar, der den Gästen eine optimale Nutzung der Aussichtlage bietet.
Schweizer Holzstil als Erfolgsfaktor beim Hotel Schweizerhof
Der Schweizer Holzstil – Bauten mit kubischer Erscheinung, meist unter Satteldach, versehen mit breiten Lauben und filigranem Sägezierwerk – war Mitte des 19. Jahrhunderts für neue Bauaufgaben wie etwas Bahnhöfe, aber zunehmend auch im Villen- und Wohnhausbau beliebt geworden. Der Ursprung des Baustils liegt in der durch Haller und Scheuchzer begründeten Begeisterung für den Alpenraum und für das typische Schweizerhaus als Vorbild einer natürlichen Behausung in einer romantischen Landschaft. Die ideelle Rezeption dieser Idee erfolgte mittels kleiner «Schweizerhäuschen» in den Parkanlagen Europas. In der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich der «Swiss Style» in England als passende Bauweise für Land- und Wohnhäuser – eine ähnliche Tendenz zeigte sich in Frankreich, wo «Chalets à la manière suisse» wie Pilze aus dem Boden schossen. Dabei wurde stets die nationale und pittoreske Verbrämung, die diesen Gebäuden anhaftete, betont. Auf diese Weise legitimiert kehrte der Schweizer Holzstil als moderne Bau- und Dekorationsform gegen 1840 in die Schweiz zurück und etablierte sich im Zuge der Staatswerdung als aussagekräftige Architekturformel für den Nationalcharakter.
Das Hotel Schweizerhof mit seinem Balkonvorbau im Schweizer Holzstil vermittelt dem Gast einen einprägsamen, modernen und mit dem Berner Oberland verbundenen Eindruck. Zusammen mit dem Namen – Schweizerhof – wird das Sägewerk-Dekor quasi zum Markenzeichen des Hotels (vgl. Abb. 1).
Konkurrenzsituation am Höheweg
Bereits ab 1860 – nach der Einweihung der neuen Eisenbahnlinien – nehmen die Reiseströme im Berner Oberland enorm zu. In den Tourismusorten wird die Bereitstellung von mehr und grösseren Aufenthaltsmöglichkeiten nötig. In unmittelbarer Nachbarschaft des Hotels Schweizerhof entstehen in den 1860er- Jahren die Hotel Victoria und Jungfrau, die sich vom Zimmerangebot und von ihrer äusseren Gestaltung als historistische Paläste vom Schweizerhof abheben. Diese luxuriösen «Palasthotels» der höchsten Kategorie bieten den Gästen Komfort und Repräsentation in hohem Masse.
Um dieser enormen Konkurrenz standhalten zu können, wird der Schweizerhof erweitert und umgebaut. 1862/63 wird das Volumen des Hotels durch zwei seitliche Flügel beinahe verdoppelt. Die Gestaltung im Schweizer Holzstil bleibt jedoch unangetastet (Abb. 4).
Der Schweizerhof wird zum Palasthotel
Während mehr als dreissig Jahren behauptet sich das Hotel Schweizerhof in dieser Form trotz wirtschaftlicher Rezession und Krisenzeiten am Höheweg. Erst unter Eduard Strübin, der das Hotel ab 1875 zusammen mit seiner Schwester Magdalena Wirth-Strübin leitet, kommt es in den 1890er-Jahren – dank der in Interlaken erst jetzt verbesserten Konjunkturlagen und vermehrtem Reiseverkehr – zu einer markanten Umstrukturierung. In der Folge wird das Hotel Schweizerhof in ein Palasthotel umgebaut. 1896 erfolgt als erster Schritt der Neubau eines Speisesaals. Der Luzerner Architekt und Semperschüler Arnold Cattani errichtet an der Stelle des alten Küchenanbaus von 1855 einen eingeschossigen, von Rundbogenfenstern beleuchteten Speisesaal mit Office und Küche im Souterrain. Die Lage im Hinterhof des Hotels mag zwar erstaunen, erweist sich aber auf der schmalen Parzelle als einziger sinnvoller Standort.
Der prachtvoll gestaltete Innenraum des Saals macht unmittelbar deutlich, dass dem Hotelgast hier mittels einer qualitätvollen Historismus-Schein-Fassade das Gefühl vermittelt wird, sich in einem Palast zu befinden – Aussicht und Lage des Saals sind dementsprechend zweitrangig (Abb. 5). Die eleganten Rokoko-Formen der Stuckatur, reizvoll in die Fensterscheiben geätzte, umrankte Puten, eine heitere, polychrome Farbgestaltung und verschiedene Leinwandmalereien des Berner Malers Otto Haberer ziehen den Besucher in ihren Bann (Abb. 6). Dem Saalanbau folgt 1897 die Aufstockung des Hotels um ein Stockwerk und die totale Neugestaltung von Dach und Fassaden.
Der Balkonvorbau im Schweizer Holzstil wird entfernt und durch Eisensäulen- und Geländer auf Kunststeinplatten ersetzt. Das Hotel erhält eine völlig neue Gestaltung in einer eindringlichen, historistischen Formensprache. Eine umlaufende Ballustrade schliesst das Gebäude nach oben ab und verstärkt den Palast-Charakter des Baus (Abb. 7).
Damit wird ein anderes Baukonzept erkennbar, das nicht wie die ursprüngliche Gestaltung im Schweizer Holzstil auf Differenzierung und Identifikation setzt, sondern auf die Anpassung an die aktuellen Bedürfnisse nach Repräsentation. Das Palasthotel Schweizerhof liegt damit in einem Trend, der in der Hotelarchitektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorherrscht, hebt sich damit aber weder bezüglich Gestaltung noch Angebot von den umliegenden Hotelpalästen ab.
Neubau der Dependance
Dass dieser Umstand als Problem erkannt wurde, zeigt der Bau einer Depandance durch die Architekten Pfleghard & Haefeli. Mit Familienappartements und kleineren und billigeren Zimmern richtet sich das Hotel Schweizerhof nun nicht mehr nur an ein gehobenes Publikum, sondern auch an Touristen der Mittelklasse. Dank dieser innovativen Idee erschliesst der Hotelier damit ein neues Gästesegment, was dringend nötig ist, um in der Konkurrenzsituation der Palasthotels am Höheweg bestehen zu können.
Hotelarchitektur als Erfolgsfaktor
Die Baugeschichte des Hotels Schweizerhof zeigt exemplarisch, wie stark der jeweilige Zeitgeschmack, aber auch ökonomische Bestrebungen in die Gestaltung des Hotels eingreifen. Innovative Ideen und kreative Konzepte – sowohl bei der inneren als auch bei der äusseren Gestaltung – erweisen sich dabei als Faktoren, die einem Hotel zu Renommee und Erfolg verhelfen können.
Notes
Illustrations
Abb.1 Muller, Interlachen. Hôtel Suisse, um 1860, kolorierter Umrissstich, Genf, Charnaux, in: Michel 1956, S. 3.
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Abb.2 Hotel Schweizerhof, Ansicht von Osten, um 1905, Fotografie, Interlaken, Archiv Tourismus Interlaken.
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Abb.3 Robert Roller (sen.), Hotel Schweizerhof Interlaken, Grundriss des Erdgeschosses, Juni 1855, kolorierter Originalplan (Bauplan), Mstb. 1:100, 44 x 52,5 cm, StAB.
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Abb.4 C. Mayer, Souvenir von Interlaken, nach 1865, Stahlstich, 23,5 x 17 cm, gez. von Rüdisühli, Verlag Christian Krüsi, Basel, Detail aus Abb. 61.
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Abb.5 Hotel Schweizerhof Interlaken, Saal, Innenansicht, Fotografie, 1995, KDPB.
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Abb.6 Otto Haberer (?), Szene mit musizierenden Engeln, Leinwandmalerei Supraporte, Hotel Schweizerhof Interlaken, Saal, 1995, KDPB.
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Abb.7 R. Gabler, Hotel Schweizerhof, Südfassade, um 1900, Fotografie, Interlaken, Archiv Tourismus Interlaken.
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