Die Loretokapelle in Solothurn - eine Nachbildung des Heiligen Hauses von Nazareth

Die Loretokapelle in Solothurn - eine Nachbildung des Heiligen Hauses von Nazareth
Als Schultheiss Schwaller 1649/50 in Solothurn die Loretokapelle errichten liess, nahm die Entwicklung und Verbreitung jenes aussergewöhnlichen architektonischen Typus in der nordalpinen Schweiz ihren Anfang. Die Architekturkopie des Heiligen Hauses in Loreto war als Wallfahrtsersatz in gegenreformatorischer Epoche weitaus beliebt. Das begeh- und erlebbare Reliquiar ist meist prägend in der Landschaft inszeniert.

Im Klosterdreieck zwischen dem Kapuzinerkloster, den Frauenklöstern Nominis Jesu und Visitation in Solothurn befindet sich die Loretokapelle, eine private Stiftung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (Abb. 1)(1). Bereits auf dem Solothurner Stadtprospekt von Sigmund Schlenrit aus dem Jahr 1653 wurde die privilegierte Lage dieser Kapelle hervorgehoben. Der Baukörper liegt ausserhalb der Stadtmauern erhoben auf einer Wiese am Ende einer Allee, welche am Kapuzinerkloster vorbeiführt (Abb. 2). Drei freistehende und drei weitere gemauerte Bildstöcke des Stationenwegs auf der Süd- und auf der Ostseite der Kapelle signalisieren noch heute die land­schaftliche Inszenierung dieser Anlage, die für Prozessionen des St. Ursen-Stifts genutzt wurde. Das Bieltor passierend, gelangte man auf die grosse Strasse nach Biel und von da nach rechts auf die heutige Kapuzinerstrasse in Richtung der Klostermatte.

Die Entstehungsgeschichte

Das Heilige Haus von Nazareth

Die Loretokapelle von Solothurn ist eine Nachbildung des Heiligen Hauses (Casa Santa), welches das Gnadenbild der Schwarzen Madonna enthält. Das Heilige Haus seinerseits befindet sich in der Basilika des italienischen Wallfahrtsortes Loreto. Die Geschichte um jene Votivkapelle geht auf die Legende über das Haus der Heiligen Familie in Nazareth zurück, die von Propst Teramus 1468 niedergeschrieben wurde. Diese besagt, das Häuschen, in dem einst Maria, Joseph und der kleine Jesus bescheiden und demütig gelebt hatten, sei im Jahr 1291 zum Schutz vor den Sarazenen von Engeln zuerst nach Dalmatien und daraufhin nach Italien getragen worden. Nach mehreren Translationen legten die Träger das Haus schliesslich im Hain der Witwe Lauretta nieder, wo es noch heute stehe und verehrt werde (2). Dem Heiligen Haus von Nazareth wurde aufgrund der umfangreichen Überlieferungen grosse Bedeutung beigemessen: Die Muttergottes war im Haus geboren worden, hatte darin die Verkündigung des Engels vernommen, für ihre Familie gekocht und gemeinsam mit ihrem Mann den kleinen Jesus an diesem Ort erzogen (3).

Bereits im 15. Jahrhundert entwickelte sich Loreto zu einem beliebten Wallfahrtsort für Pilger aus ganz Europa. Im Lauf der Zeit stifteten Besucher bei der Rückkehr in ihre Heimat eine Loretokapelle. Diese Nachbildungen, auch Architekturkopien ge­nannt, waren Zeugnisse des Dankes und der Ehrerweisung gegenüber der Madon­na. Sie hatten zudem die Funktion eines Reliquiars und ermöglichten dadurch Nah­wallfahrten, welche die mühselige Pilgerreise in das ferne Italien ersetzen konnten.

Der Auftrag des Schultheissen Johann Schwaller

Die Solothurner Loretokapelle wurde im Jahre 1649 von Schultheiss Johann Schwaller (1589/90-1652) in Auftrag gegeben. Schriftlich liess der Stifter festhalten, dass er ein wahr Abcontrafactùr, ein authentisches Konterfei der Madonna von Lo­reto, besitze, wofür er einen geeigneten Platz suche (4). Er beabsichtige aus diesem Grund eine Kapelle nach dem Modell von Freiburg im Uechtland zu errichten, das eine der zahlreichen Schweizer Nachbildungen des Heiligen Hauses von Loreto darstellt (5). Die Erlaubnis zur Konstruktion der Kapelle erhielt Schultheiss Schwaller sowohl von den Schwestern des Frauenklosters Nominis Jesu, die im Besitz der Klostermatte waren, als auch von Francesco Boccapaduli, Assistenzbischof und Gesandter der römischen Kurie (6).

In der Stiftungsurkunde wurde festgehalten, dass Schenkungen und Gaben dem Kloster zukommen sollten, was aufzeigt, dass eine Vereinbarung zwischen Stifter und Schwestern bestand, denen die Kapelle noch vor der Weihe im Jahr 1651 voll­ständig übergeben wurde (7). Doch war dieses Vermächtnis nicht nur eine private Angelegenheit zwischen Schultheiss und religiösen Institutionen und Würdenträgern; die Bewohner der Stadt und auch politische Instanzen waren darin involviert und wurden zu weiteren Spenden für den Unterhalt aufgefordert (8). Im Beisein von Jo­dokus Knab, Bischof von Lausanne und Probst von Luzern, und zahlreicher anderer Herren erfolgte am 18. Oktober 1649 die Grundsteinlegung, die mit einem Festzug gefeiert wurde (9). Eine weitere Prozession ereignete sich nach Vollendung des Baus am 6. Oktober 1650, als das Gnadenbild und die Gefässe, die der Kapuzinerpater und zukünftige Kapellenbruder Franz Theobald in Loreto geholt hatte, vom St. Ursen-Stift in die neue Kapelle getragen wurden (10). Schliesslich fand am 28. Mai 1654 die Weihe der Kapelle statt. Der Stifter war jedoch bereits am 2. November 1652 verstorben (11).

Johann Schwaller hielt in der Stiftungsurkunde ausserdem fest, dass er die Kapelle aus Dankbarkeit für die erhaltenen Gnaden nach dem Besuch des Heiligen Hauses in Loreto erbaut habe und sich für die Fürbitten der Kapuzinerschwestern erkenntlich zeigen wolle (12). Er erwähnte selber nicht, welche ausserordentlichen Gnaden ihm nun im Verlauf der Jahre tatsächlich zuteil wurden. Einzig der Chronik von Pater Siegfried Wind zum Kapuzinerkloster Solothurn ist zu entnehmen, dass der Schult­heiss mehrere Male durch das Gebet der Kapuziner göttliche Zuwendung erfahren habe. Eine legendenhafte Episode aus dem Jahr 1646 will, dass der Schultheiss plötzlich von einer schweren Krankheit geheilt worden war; ein Wunder, das Pater Innozenz von Caltagirone erwirkt haben soll. Der Pater hatte nämlich dem schwer leidenden Schultheissen ein Bildchen mit einer Segensformel zukommen lassen. Dieses habe der Kranke auf die schmerzende Stelle seines Körpers gelegt, worauf­hin er sogleich Linderung verspürt habe (13).

Aber möglicherweise veranlasste auch der grosse Kindersegen den Stifter dazu, die Schenkung der Loretokapelle zu tätigen. Schultheiss Schwaller war zweimal verhei­ratet gewesen und besass eine grosse und erfolgreiche Nachkommenschaft (14). Es könnte sein, dass er auch dafür der Fürbitte der Madonna von Loreto Dank zollte, denn diese wurde besonders für Unterstützung in familiären Angelegenheiten aufge­sucht.

Das Bauwerk stellt schliesslich ein Denkmal dar, das an den politischen Erfolg des Auftraggebers mahnt. Seine erfolgreiche Karriere hatte der Schultheiss einerseits seinem politischen Geschick zu verdanken, andererseits aber auch der allgemeinen politischen Lage, denn als Hauptmann wurde er durch den Solddienst im Dreissigjäh­rigen Krieg zu einem wohlhabenden Mann (15). Er vertrat, als er die Kapelle in Auf­trag gab, das aufstrebende Söldnerpatriziat, das im Begriff war, das alteingesessene Solothurner Patriziat zu verdrängen.

Die Kapelle

Die äussere Gestalt

Die Loretokapelle umfasst zwei aneinander liegende Bauteile auf einem Mauersockel: die Kapelle und die Turmkapelle (Abb. 3). Die vorgestellte schmalere Turmkapelle besteht aus einem achteckigen Aufbau mit einem Turmhelm, der sich in ein kupfernes zweifaches Zwiebeldach mit eingeschobener Laterne gliedert. Der vergol­dete Tondo mit der Loreto-Madonna auf einer Wolke über der Mondsichel bildet dabei den Abschluss (Abb. 4). Die gekrönte und von einem Strahlenkranz umgebene Muttergottes wendet sich dem Kindlein zu, während sie in der rechten Hand das Heilige Haus von Nazareth festhält.

Das Quadermauerwerk des Turmes aus Solothurner Kalkstein, eine hohe qualitative Arbeit, hebt sich optisch von den einfacheren grau-braun verputzten Mauern der Ka­pelle ab. Dieser Gegensatz lässt sich durch die Gebrauchsfunktion erklären: Wäh­rend die Kapelle die Nachbildung des Heiligen Hauses von Nazareth, auch Arm­leutehaus genannt, darstellt, entspricht die Turmkapelle dem lokalen Geschmack der barocken Epoche. Trotz des schlichten und steilen Satteldachs aus Ziegeln, wirkt die verputzte Kapelle nicht ärmlich, sondern gibt durch den Turmanbau den Anschein einer kleinen Kirche. Das Besondere daran ist, dass in der Schweiz für die Kombina­tion von Turm und Loretokapelle keine Vorlagen existieren (16). Man darf deshalb annehmen, dass diese Solothurner Eigenheit eine Idee des Bauherrn war. Die meisten Loretokapellen besitzen nämlich einen Dachreiter.

Das Innere

Im Grundriss ist der einfache Aufbau der einschiffigen Kapelle mit der vorangestellten Turmkapelle zu erkennen (Abb. 5). Die parallele Anordnung der Süd- und der Nord­türe ermöglicht die Durchgängigkeit der Kapelle auf der Querachse und so eine bessere Kontrolle über den Pilgerstrom. Betrachtet man in diesem Zusammenhang nun den prominenten südlichen Treppenaufgang und die heranführende Allee mit den Kreuzstöcken, wird aus der Architektur und deren Einbindung in die Umgebung die Funktion der Gesamtanlage als Pilgerstätte ersichtlich (Abb. 1).

Der Innenraum ist in drei Bereiche unterteilt: den Laienraum, der bis ungefähr in die Hälfte der Kapelle reicht, den um drei Stufen erhöhten Altarraum und schliesslich, hinter dem hohen Retabel, das Allerheiligste, das zugleich die Funktion der Sakristei erfüllt. Eine niedrige Kommunionbank auf der obersten Treppenstufe bezeichnet den Übergang vom Laien- zum Altarraum.

In den fensterlosen Raum gelangt nur wenig Licht. Abgesehen von einem Fenster zwischen Kapelle und Turmkapelle bilden die Türöffnungen und die schmale Öffnung in der Ostwand die eigentlichen Lichtquellen, denn wie in Loreto sollte auch in Solothurn ein höhlenartiger Raum entstehen. Die Innenwände sind mit rostroter Farbe bemalt, während der Boden mit hellem Stein ausgelegt ist. Der Wandaufbau besteht aus einer Sockelzone, einer schmucklosen Wand und einem profilierten Kranzgesims. In der Mitte des abschliessenden Tonnengewölbes befindet sich ein ovales Holzgitter mit der Darstellung des Heiligen Geistes in Form einer Taube im Strahlenkranz.

Das zweifach durchbrochene Altarretabel trennt den Altarraum und das Allerheiligste (Abb. 6). Geschmückt ist das hölzerne Antependium des Altars mit geschnitzten Rankenmotiven und der Darstellung der Verkündigungsszene auf einer ovalen Pala. Unter der hölzernen Verkleidung verbergen sich der Stipes und die Mensa aus Stein.

Die seitlichen Türchen in der unteren Hälfte des Retabels weisen den direkten Weg ins Allerheiligste, in den Raum, in dem sich die Kopie des Gnadenbildes der Schwar­zen Madonna von Loreto und darunter der Heilige Kamin befinden (Abb. 7). Gemäss der Überlieferung soll Maria an dieser Feuerstelle die Speisen für Mann und Sohn zubereitet haben. Tatsächlich führt hier ein Abzug hinter der Wandvertäfelung hin­durch, was bedeuten kann, dass im Kamin zu bestimmten liturgischen Anlässen Feuer gemacht wurde. Die Malerei auf den beiden Innenflügeln des Kaminschranks gibt eine harmonische Familienszene wieder: Maria, Joseph und das Jesuskind halten sich an der Kochstelle auf. Beim Aneinanderfügen der beiden Türflügel wird die gesamte Darstellung des Kapelleninnenraums ersichtlich, die wiederum das Innere des Heiligen Hauses darstellt.

Im oberen Bereich ist das Retabel in drei mit Rautengittern gefüllte Felder unterteilt. Über dem Retabelabschluss ist die plastische Darstellung von Golgatha zu erkennen: Johannes und Maria flankieren Christus am Kreuz. Darunter ist die Kartusche mit dem Wappen der Familie Schwaller angebracht. Durch die Gitter des Retabels kann der Laie das Gnadenbild der Loreto-Madonna ersehen. Das Gehäuse für die beklei­dete Statue wurde in die Wandtäfelung eingebaut, welche die Ostwand bis auf eine Höhe von über drei Metern verkleidet. Monstranzen, liturgische Gewänder und die verschiedenen Kleider des Gnadenbildes werden in den darin eingebauten Schrän­ken aufbewahrt.

Unter der Falltüre im hölzernen Boden befindet sich ein unterirdischer Gang, der eine Verbindung zum Eremitenhaus auf der Nordseite der Kapelle herstellt. Der Kapellen­bruder konnte so ungesehen in den Sakristeiraum gelangen. Der Boden wurde Mitte des 20. Jahrhunderts erhöht. Im Kellergewölbe ist daher noch der Ansatz einer frü­heren Malschicht in Form eines ziegelroten Backsteinmauerimitats zu sehen.

Kapelle und Turmkapelle sind durch das sogenannte Engelsfenster verbunden, wel­ches das Ereignis der Verkündigung verdeutlicht und daher auch Verkündigungs­fenster genannt wird. Das hölzerne, schwarz bemalte Altarretabel auf der Seite der Turmkapelle fasst jene Öffnung ein (Abb. 8) (17). Zwischen den Bauteilen besteht keine Verbindungstüre. Durch das Lünettenfenster des Portals und durch drei wei­tere Fenster fällt viel Licht in den hohen Vorraum hinein, sodass dieser in hellem Weiss erstrahlt. Durch eine runde Öffnung in der Mitte des Kreuzrippengewölbes, werden der darüber liegende Raum und von da aus Glockenstuhl und Dachstock erschlossen.

Beim Dachstock handelt es sich um eine liegende Dachstuhlkonstruktion mit Kehl­gebälk. Auf der Südseite wurden zwischen den mittleren Bindern Stützbalken in Form eines Andreaskreuzes angebracht. An den Verstrebungen sind einige Rollen und Halter befestigt. Zudem ist eine Hebekonstruktion erhalten, über die in Verbindung mit den Rollen wohl Ampeln und Leuchter zur Wartung in den Kapellenraum hinun­tergelassen wurden (18).

Bedeutende Veränderungen

Der erste gesicherte Eingriff im Innenraum geht auf das Jahr 1886 zurück, als die als „unanständig, geschmacklos und überladen“ geltenden Ausschmückungen ersetzt wurden (19). Möglicherweise stammte dieser damals als kitschig empfundene Dekor aus dem Jahr 1754, als der Altar zur Hundertjahrfeier der Loretokapelle mit Rokoko-Ornamenten geschmückt und ein (neuer) Umhang für das Gnadenbild gestiftet wur­de (20). Schriftliche Unterlagen aus dem 18. Jahrhundert, welche grössere Verände­rungen im Kircheninneren dokumentieren würden, fehlen. Während das Antependi­um dem Stil nach zu urteilen aus der Bauzeit stammt, ist das Retabel womöglich im Auftrag eines Nachkommens Johann Schwallers Mitte des 18. Jahrhunderts erneuert worden (21). Weil die Ähnlichkeit zwischen Retabel und Ädikula, der Nische für das Gnadenbild, frappierend ist, kann auf dieselbe Entstehungszeit geschlossen werden.

Für das 19. Jahrhundert geben die Dokumente präzisere Auskünfte. Aus dem Bericht über die Renovation von 1886 geht hervor, dass die bestehenden Ornamente wie bereits erwähnt, als „fehlerhaft“ befunden und daher entfernt wurden. Die höchsten Beträge wurden an den Vergolder und an den Maler ausbezahlt, woraus man schliessen kann, dass das Innere der Kapelle neu gestrichen wurde. Die im Dachstuhl festgehal­tenen Namen und Jahrzahlen bezeugen zudem die Sanierung des Daches. Erneuerungen wurden, wie die Aufschriften von Gipsern und Dachdeckern bekun­den, hauptsächlich im 19. Jahrhundert durchgeführt, namentlich in den Jahren 1849, 1886 und 1888 (22). Am 26. September 1886 konnte schliesslich der Abschluss der allgemeinen Renovationsarbeiten gefeiert werden.

Bereits 1912 kam es zu einer weiteren Instandsetzung: Die Turmkapelle wurde innen frisch gestrichen und die Muttergottes-Statue auf dem Turm neu vergoldet (23). Da zusätzlich Ausgaben für ein Gerüst zur Wiederherstellung des Kirchenturms regi­striert sind, ist anzunehmen, dass entweder am Dach oder auch am Turmhelm Unter­haltsarbeiten ausgeführt wurden.

Der grösste Eingriff erfolgte zur Dreihundertjahrfeier der Weihe in den Jahren 1952/53 und hatte zahlreiche Veränderungen am Bau zur Folge. Der Turmhelm wurde, da der Dachstock morsch gewesen war und gar Einsturzgefahr bestanden hatte, gänzlich erneuert (24). Zudem wurden Spenglerarbeiten am Dach ausgeführt und die Treppenstiege erneuert. Auch Auslagen für Marmorarbeiten sind in der Abrechnung festgehalten. Ausserdem war man damals der Ansicht, die Form des Helmes habe sich verändert (25), weshalb er in die vermeintlich ursprüngliche Zwie­belform zurückversetzt wurde. Ob es sich bei der ursprünglichen Dachform nicht eher um den Typ der Welschen Haube gehandelt hatte, einer in barocker Zeit mit Vorliebe verwendeten Vorform des Zwiebeldachs, bleibt offen. Am Äusseren des Turms wur­den die Fugen erneuert und das gesamte Mauerwerk mit einem maschinellen Stein­hammer gleichmässig überarbeitet. Die originale Hausteinoberfläche ist kaum noch erhalten. Einige Mauerblöcke wurden ausgewechselt und beschädigte Stellen ausge­bessert, der alte Verputz der Kapelle ersetzt sowie sämtliche Türen, Schutzdächer, Treppen und Geländer erneuert. Die bemalten Bleche über den Türbalken wurden abgenommen und die darunter liegenden in Stein gehauenen Inschriften überarbeitet (26).

Im Inneren wurden die Stufen, welche der Erhöhung des Ostteils dienen, um eine weitere Stufe ergänzt, so dass heute der Altarraum weiter in den Laienraum hinein­ragt (Abb. 9) (27). So erfolgte die Reduktion des Laienraums, wobei das Verhältnis zwischen den einzelnen Raumteilen eine nicht unbedeutende Veränderung erfuhr. Der Boden, der wie in der Turmkapelle mit roten Tonplatten ausgelegt war, wurde grösstenteils durch helle Steinplatten ersetzt, was im Grunde dem sonst eher dun­klen Charakter des Innenraums einer Loretokapelle widerspricht. Auch wurde anstel­le der Chorschranke eine Kommunionbank eingefügt (28). Die feste Bankbestuhlung, die sich heute im Kloster Nominis Jesu befindet, wurde durch mobile und platzspa­rende Bänke ersetzt.

Eine Farbuntersuchung an den Wänden hatte ergeben, dass eine frühere Malschicht dunkler war. Der neue Anstrich wurde gemäss diesem Befund erneuert. Das Tonnen­gewölbe, welches wie die Wände mit einem Backsteinimitat bemalt war, drohte zu­sammenzubrechen und wurde deshalb ersetzt (29). In der Verkündigungskapelle wurde die hölzerne Empore herausgenommen und der Altar von der hellen Verscha­lung befreit (30). Der schwarze Anstrich kam so wieder zur Geltung.

Die letzte Instandsetzung der Kapelle fand 1998 statt, wobei im Inneren nur Festi­gungs- und Konservierungsarbeiten ausgeführt wurden. Am Aussenbau wurden das Vordach am Turm rekonstruiert, der Putz repariert, frisch bemalt und der Mörtel zwi­schen den Fugen am Turmmauerwerk entfernt, so dass ein „hochwertiges Fugenkon­zept“ zum Vorschein kam (31).

Die Solothurner Loretokapelle im schweizerischen Kontext

Die graphischen und schriftlichen Vorlagen von Silvio Serragli, Pietro Valerio Martorelli und Pater von Wyl

Aus der Entstehungszeit der Solothurner Loretokapelle sind keine Pläne oder Berich­te erhalten geblieben, doch werden sich Auftraggeber und Bauleute auf die allgemein bekannten und durch Loretopilger verbreiteten Pläne aus Italien gestützt haben. Die meisten Schweizer Loretokapellen, die nach 1650 nördlich der Alpen entstanden sind, entsprechen dem Zustand des Heiligen Hauses in Loreto nach dessen Umman­telung (Abb. 10) und vor allem nach der Umgestaltung des Inneren in den Jahren 1531 und 1563 (32).

Einer der Berichte, die für die Nachbildungen in der Schweiz von Bedeutung waren, ist Silvio Serraglis Druckschrift La Santa Casa abbellita aus dem Jahr 1633, der in seiner Beschreibung auch die Änderungen des Heiligen Hauses von Loreto aus dem 16. Jahrhundert berücksichtigt (33). Der Grundriss findet sich in den späteren Aufla­gen (Abb. 11). Obschon ein Gesamtplan mit allen Aufrissen der Innenwände und des Retabels zu dieser Zeit bereits existiert hat, ist ein solcher bei Serragli nicht enthalten (34).

Eine bedeutende Quelle zur Rekonstruktion dieser Pläne stellt daher das 1732 bis 1735 vom Bischof von Montefeltro, Pietro Valerio Martorelli, verfasste mehrbändige Werk Teatro istorico della santa casa nazarena della B. Vergine Maria e Sua ammi­rabile Traslazione in Loreto dar, das eine Kopie des in Deutschland gedruckten Pla­nes in französischer Sprache mit einschliesst (Abb. 12) (35). Dieses Werk ist insofern wichtig, als es auf vorhergehenden zum Teil verschollenen Publikationen aufbaut und die präzisen Darstellungen der Wandgestaltung und der Fresken mit einschliesst und uns eine Vorstellung davon gibt, wie die in der Mitte des 17. Jahrhunderts verwendeten Pläne ausgesehen haben mögen.

Für den Bau der Kapelle in Solothurn ist im Besonderen auch der Bericht des Paters von Wyl zur Loretokapelle in Hergiswald bei Luzern aus der Mitte des 17. Jahrhun­derts von Belang. Der Bericht, der eine Beschreibung des Heiligen Hauses in Loreto enthält, basiert womöglich auf den Plänen und schriftlichen Ausführungen von Serragli und anderen zeitgenössischen Publikationen mit Ähnlichkeiten zu Martorellis Plan (36). Dies ist insofern wichtig, als Pater von Wyl beim Bau von drei Kapellen eine wesentliche Rolle spielte. Er war nicht nur in den drei Orten Freiburg, Hergis­wald und Solothurn als Kapuzinerpater anwesend und konnte so den beinahe gleich­zeitigen Bau der Kapellen mitverfolgen und unterstützen, er kannte auch den Jesui­tenpater Wilhelm Gumppenberg (1609-1675), der 1646 bis 1649 Prediger an der St.
Niklaus-Kathedrale in Freiburg und ein grosser Förderer der Marienverehrung war. Wilhelm Gumppenberg publizierte den Atlas Marianus, eine Sammlung von Darstel­lungen und Legenden von fünfzig Marienwallfahrtsorten (37). In der Ausgabe von 1672 hielt er fest, dass er drei Pläne des Heiligen Hauses in Loreto besitze, wovon jener des Jesuitenpaters Christoph Bachamer, dem deutschsprachigen Beichtvater in Loreto, der beste sei (38). Der bisher in der Schweiz und in Bayern unauffindbare Plan stammt aus dem Jahr 1625 (39). Auf Pater Gumppenbergs Geheiss wurde die Freiburger Loretokapelle 1647/1648 errichtet (40).

Als Wilhelm Gumppenberg und Pater von Wyl, der zwischen 1644 und 1648 in Frei­burg weilte, dort zusammentrafen, muss ein Austausch stattgefunden haben. Mögli­cherweise verfasste Pater von Wyl seinen „Bericht vom H. Haus Loreten originali für das Loreten bey U.L.F. im Hergiswald“ aufgrund der Pläne im Besitze Gumppen­bergs, die heute verschollen sind (41). Die Tatsache, dass Ludwig von Wyl bereits 1645, als er in Freiburg im Kapuzinerkloster Guardian (42) war, mit dem Vorschlag zum Bau einer Architekturkopie in Hergiswald an den Luzerner Rat herantrat, be­zeugt, dass er längst vor diesem gesicherten Zusammentreffen die feste Absicht ver­folgt hatte, eine Architekturkopie der Loretokapelle errichten zu lassen. Es kann also festgehalten werden, dass die Beziehung der beiden Geistlichen für die Verbreitung der Loretokapellen in der heutigen nordalpinen Schweiz ausgesprochen förderlich war. Beide haben den Bau mindestens einer Kapelle unterstützt und so die Aus­gangslage für weitere Projekte, wie jenes von Solothurn, geschaffen. Bezeichnend ist hierbei, dass die Kapellen in Freiburg (1647/48), Hergiswald (1648/49) und Solothurn (1649/50) kurz nacheinander errichtet wurden und Anstoss zu weiteren Nachbil­dungen in der nordalpinen Schweiz gegeben haben.

Eine Gegenüberstellung: Die Loretokapellen in Freiburg, Hergis­wald und Solothurn

Weil die Loretokapelle in Solothurn im Verlauf der Jahrhunderte im Äusseren wie vor allem auch im Inneren wesentliche Änderungen erfahren hat, bietet sich der Ver­gleich mit den zeitgleichen Kapellen in Freiburg und in Hergiswald zu möglichen hypothetischen Rekonstruktionen des Originalzustandes an. Es werden dadurch Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar, welche den Charakter der jeweiligen Kapelle veranschaulichen.

Die äussere Gestaltung

In Bezug auf die äussere Gestalt wird deutlich, dass die gemeinsamen Merkmale der drei Kapellen eher auf die Gebrauchsfunktion und somit auf die innere Raum­gliederung zurückzuführen sind: Der rechteckige Baukörper ist mit Ausnahme des Verkündigungsfensters fensterlos und verfügt meist über einen Eingang auf der Nord- und zwei Eingänge auf der Südseite, wovon der hintere in die Sakristei führt (43). Die Dachform ist einfach und lokal geprägt. Von Interesse ist die Frage nach der konkreten Fassadengestaltung, die sowohl in Freiburg wie auch in Hergiswald und Solothurn verschieden gelöst wurde. Während die Freiburger Kapelle mit skulpierter Mo­lasse ummantelt ist (Abb. 13), die eine künstlerische Neuschöpfung lokaler Prägung mit Reminiszenzen an das italienische Vorbild darstellt (Abb. 10) (44), sind an der Hergiswalder Kapelle nebst der Dekoration des angebauten Hochaltars Freskenfragmente erhalten. Auch für diese Kapelle aber, die ähnlich wie die Solothurner weiss gestrichen ist, hatte Pater von Wyl eine Ummantelung mit Kalkstein aus Stans vorgesehen (45). Die Fassade in Solothurn besitzt ebenso ihre Eigenheiten: Die Inschriftentafeln über den Portalen erklären das Heilsgeschehen und die Ereignisse um die Stiftung. Solche Tafeln bestanden auch in Loreto selbst. Es zeigt sich also, dass die Verwendung lokaler Materialien zum Erscheinungsbild der Kapelle beitrug, sowie die Gestaltungsfreiheit und die lokalen künstlerischen Einflüsse prägend waren.

Die Elemente des Innenraums

Im Inneren einer Loretokapelle besteht der Boden gemäss der Vorlage von Martorelli aus diagonal ausgelegten Platten, die in Solothurn bis 1952 erhalten geblieben waren. Für die Gestaltung der Wände kennen wir zwei massgebliche Varianten: Es konnten Fresken in absichtlich fragmentarischer Form auf einer imitierten Backstein­struktur oder die Fugen allein aufgemalt werden. In Freiburg zum Beispiel haben solche Fresken bestanden, mussten aber 1888 und 1890 einer neuen Wandbema­lung weichen (46). In Hergiswald hingegen sind die Fresken von 1650 bestehend, die gemäss dem Plan von Martorelli Devotions- und Votivbilder darstellen (47). Ob die Kapellenwände in Solothurn einstmals mit Fresken bemalt waren, konnte anhand der schriftlichen Unterlagen nicht festgestellt werden. Da aber 1886 Ausgaben für Maler­arbeiten verzeichnet sind, besteht durchaus die Möglichkeit, dass zu diesem Zeit­punkt oder bereits früher solche übermalt wurden. Eine erneute Untersuchung der Malschichten könnte Gewissheit darüber bringen. Mit solchen Freskenfragmenten wurde ursprünglich versucht, einen antiken Zustand nachzuahmen. Es ist denkbar, dass diese nach den Vorlagen gestalteten und somit unvollendeten Wandmalereien im Verlauf der Zeit als unschön empfunden oder nicht mehr verstanden wurden.

Die Ansichten der Altarzonen in Freiburg und in Hergiswald bieten sich zu einem wei­teren interessanten Vergleich an, da beide Altäre aus der Mittelachse verschoben sind (Abb. 14, 15). Jene Gestaltungsform ist aber weder auf dem Plan von Serragli noch auf jenem von Martorelli eingetragen. Das Wissen um die axiale Verschiebung des Gnadenbildes und des Altars entstammt Pater von Wyls Bericht und ist nicht etwa auf eine ungenaue Bauweise zurückzuführen, sondern durch eine kultische Funktion bedingt (48). In Solothurn sind im Gegensatz zu Freiburg und Hergiswald Altar, Retabel, Gnadenbild und Verkündigungsfenster symmetrisch zur Mittelachse hin ausgerichtet. Aufgrund der Erneuerung des Retabels und des Baldachins im Jahr 1754 besteht die Möglichkeit einer nachträglichen „Korrektur“ der Ausrichtung des Gnadenbildes und des davor stehenden Altars. Es handelt sich jedoch hierbei nur um eine Annahme, die sich aus dem Analogieschluss des Vergleichs ergibt und wohl durch eine genaue Bauuntersuchung geklärt werden könnte.

Die auffallende Ähnlichkeit der geraden, dreiteiligen Retabel in Freiburg und in Her­giswald deuten zudem auf eine übereinstimmende Gestaltung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts hin, wofür eine genaue Vorlage bestanden haben muss. Der Freiburger Altar wurde zwar erneuert, doch das Retabel ist mit Ausnahme der neuen Bemalung noch original (49). Hinter dem Retabel steht das Gnadenbild in einer Rundbogen­nische, die in die Wandvertäfelung eingebaut ist.

Da die Altarzonen in Freiburg und Hergiswald jeweils annähernd getreu nach den Vorlagen im Sinne Martorellis umgesetzt wurden, stellen sie ein mögliches Modell für Solothurn vor den Erneuerungen von 1754 dar. Es ist anzunehmen, dass das Gna­denbild in Solothurn ursprünglich in einer schmaleren, von Engeln gezierten Rundbo­gennische stand und leicht nach Süden verschoben war. Da das Retabel eventuell etwas weniger hoch war, könnte das Gnadenbild der guten Sichtbarkeit wegen weiter unten positioniert gewesen sein (50).

Schlussfolgerungen

Die vielen Umgestaltungen, die in Solothurn bei den Eingriffen von 1754, 1886 und 1952/53 nach dem jeweiligen Zeitgeschmack vorgenommen wurden, hatten einige Abweichungen vom Originalzustand zur Folge. Die hypothetische Rekonstruktion des Originalzustandes aufgrund des Vergleichs mit den Kapellen in Freiburg und Hergiswald zeigt auf, dass in all diesen Kapellen ein annähernd einheitliches Bild des Innenraums bestanden haben könnte, das auf ähnliche, wenn nicht gleiche Vorlagen zurückgreift. Es sind aber auch einige massgebliche Unterschiede festzumachen, welche die drei Kapellen als eigenständige Bauwerke auszeichnen. Zum einen hängt dies mit den damals vorhandenen Vorlagen zusammen (es existierten zwar ge­nauere Pläne und Beschreibungen für den Innenraum, weniger Beachtung fanden allerdings Darstellungen und Beschreibungen der Aussenhülle), und zum anderen auch mit der künstlerischen Interpretation. Die Disposition der einzelnen Raumteile und die Ausformung der zugehörigen Elemente entsprechen dem Original in Loreto mehr als die Gestaltung der Fassaden. Zudem stand das präzise Kopieren des Innenraums mit dem Zeremoniell und der Liturgie in Zusammenhang und legitimierte die Nachbildung an sich. Eine getreue Kopie war die Voraussetzung dafür, dass die Loretokapellen die Funktion eines Reliquiars übernehmen konnten und auf diese Weise dem Pilger die lange und mühselige Wallfahrt nach Loreto ersparten. Ausser­dem unterstützte solch ein „überdimensionierter“ Reliquienschrein die jesuitischen Vorstellungen der religiösen Erbauung durch die Verbildlichung des Heilsgeschehens und durch die physische Erfahrbarkeit des Raumes.

Zusammenfassung

Die Loretokapelle in Solothurn ist zu einer Reihe von Architekturkopien des Heiligen Hauses in Loreto zu zählen, die ab Mitte des 17. Jahrhunderts in der nordalpinen Schweiz eine ausserordentliche Blüte erlebten. Aus der Überlieferung über das Heili­ge Haus von Nazareth, dem Wohnort der Heiligen Familie, geht hervor, dass jenes Haus 1291 von den Engeln zum Schutz vor den Sarazenen nach Loreto geflogen worden sei. Die italienische Heils- und Pilgerstätte war weit herum bekannt und so bedeutend, dass sich bereits früh in weiten Teilen Europas, so auch hierzulande, die Vorstellung einer äquivalenten religiösen Erbauung durch eine Sekundärwallfahrt zu solchen Architekturkopien durchsetzte. Anstelle einer Reise nach Loreto wurde nun eine Pilgerfahrt zu einer Nachbildung unternommen. Jesuiten und Kapuziner verbrei­teten den Kult und den damit verbundenen Brauch der Wallfahrt, während die eigent­lichen Kapellen-Stiftungen meist von Privatpersonen ausgingen.

Auch Schultheiss Schwaller liess in den Jahren 1649/50 in Solothurn eine Loreto­kapelle errichten. Mit dem Bauwerk setzte er seiner Person ein Denkmal. Dahinter stand sein zu Lebzeiten errungener politischer Erfolg als Emporkömmling des Söldnerpatriziats. Wie er selber in der Stiftungsurkunde festhalten liess, wollte er mit dieser Schenkung der Madonna von Loreto, zu der er in jungen Jahren eine Wallfahrt unternommen hatte, für die erhaltenen Gnaden danken (51). Auch die engen Beziehungen zu den Kapuzinermönchen und die wundersame Heilung durch Pater Innozenz mögen zu dieser Stiftung und deren Übergabe an die Schwestern des Klosters Nominis Jesu beigetragen haben.

Im katholischen deutschsprachigen Europa setzte sich mit der Zeit ein Typus der Ka­pelle durch, der auf schriftlichen Berichten und Architekturplänen des Heiligen Hau­ses in Loreto basierte. Der einschiffige Bau mit Vorkapelle und dem dazwischen liegenden Verkündigungsfenster besass zwei Türen auf der Süd- und eine weitere parallele auf der Nordseite zur Durchgängigkeit. Innen war die Kapelle in drei Teile gegliedert: den westlichen Laienraum, den erhöhten Altarraum und das hinter dem dreiteiligen Retabel liegende Allerheiligste. In diesem Raum befanden sich das Gnadenbild der Schwarzen Madonna in einer Ädikula und der Heilige Kamin.

In Bezug auf jene Typologie hat sich aus der Untersuchung und dem Vergleich zwischen den fast gleichzeitig entstandenen Kapellen in Freiburg, Hergiswald und Solothurn herausgestellt, dass die Gestaltung des Äusseren freier war als jene des Kapelleninneren. Der präzise nachgebildete Innenraum mit den dazugehörenden Elementen war es, der die Kopie legitimierte. Von diesem ging die Heilswirkung aus und machte die Kapelle zum eigentlichen begeh- und erlebbaren Reliquiar.

Wie das Heilige Grab in der Kreuzenkirche und die Einsiedelei in der Verenaschlucht in Rüttenen bei Solothurn ist die Loretokapelle eine Komponente der landschaftlichen Inszenierung. Sowohl in der Verenaschlucht wie auch auf der Loretomatte wurde ein Stationenweg fast zur selben Zeit errichtet, wobei in der Einsiedelei das Heilige Grab und bei den Klöstern die Loretokapelle den jeweiligen Endpunkt darstellen. Das Ab­schreiten des Wegs sollte dem Gläubigen dazu dienen, die Passionsgeschichte nachempfinden und die religiöse Botschaft der Erlösung verstehen zu können. Das Heilige Haus und auch das Heilige Grab sind in Solothurn Bestandteil der barocken Landschaftsinszenierung, die sich durch die Gegenreformation entfaltete und noch heute als solche erkennbar ist.

Literatur, Quellen und Abkürzungen

Alfieri / Forlani / Grimaldi 1967
Nereo Alfieri / Edmondo Forlani / Floriano Grimaldi, „Contributi archeologici per la storia della Santa Casa di Loreto”, in: Studia picena (Separatum), Nr. 35, 1967, S. 64-124.

Amiet / Sigrist 1976
Bruno Amiet / Hans Sigrist, Solothurnische Geschichte. Stadt und Kanton Solothurn von der Reformation bis zum Höhepunkt des Patrizischen Regimes, Bd. 2, Solothurn: Regierungsrat des Kantons Solothurn, 1976.

Bitterli 2000
Dieter Bitterli, Die Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau in Hergiswald, hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern: GSK, 2000.

Blank 1999
Stefan Blank, „Solothurn, Loretokapelle, Turmrestaurierung“, in: Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solothurn, Bd. 4, Jahrgang 1999, S. 110-111.

Borrer 1933
Paul Borrer, Von Sury [...]. Familiengeschichte, Solothurn: Druck der Buch- und Kunstdruckereiunion AG, 1933.

Brenn 1999
P. Oskar Brenn, Der Marienaltar. Wallfahrtskirche Hergiswald, Lindenberg: Josef Fink, 1999.

Crescentino 1967
P. Crescentino da S. Severino M., Chiese e cappelle di Loreto nella Svizzera, Loreto: Congregazione universale S. Casa, 1967.

Flögel 1984
Evelyn Flögel, Die Loretokapellen in Baden-Württemberg, Bayern und der Republik Österreich, Dissertation an der Ludwig-Maximilian-Universität München, 1984.

Grimaldi 1975
Floriano Grimaldi, Loreto. Basilica, Santa Casa, Bologna: Calderini, 1975.

Guldimann 1952
Anton Guldimann, „Die Loretokapelle“, in: Jurablätter, Nr. 10/11, 1952, S. 158-161.

HBLS 1931
Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz, Bd. 6, hrsg. mit der Empfehlung der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz unter der Leitung von Heinrich Türler / Marcel Godet / Victor Attinger, Neuenburg: Administration des historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1931.

Horat 1982
Heinz Horat, „Hergiswald – Das Projekt eines ‚Sacro Monte‛“, in: Der Ge­schichtsfreund, Bd. 135, 1982, S. 117-164.

KANJ
Klosterarchiv Nominis Jesu

Matsche 1978
Franz Matsche, „Gegenreformatorische Architekturpolitik. Casa-Santa-Kopien und Habsburger Loreto-Kult nach 1620“, in: Jahrbuch für Volkskunde, neue Folge 1, 1978, S. 80-118.

Moos 1946
Xaver Moos, Die Kunstdenkmäler des Kantons Luzern. Die Ämter Entlebuch und Luzern-Land, Bd. 1, Basel: Birkhäuser, 1946.

Niederberger 1952
Basilius Niederberger, „Schultheiss Johann Schwaller“, in: Die Glocken von Mariastein, Jahrgang 30, Bd. 1, hrsg. vom Wallfahrtsverein zu Mariastein, 1952.

Pötzl 1984
Walter Pötzl, „Santa Casa-Kult in Loreto und Bayern“, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen, hrsg. von Lenz Kriss-Rettenbeck und Gerda Möhler, Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum, München / Zürich: Schnell und Steiner, 1984, S. 368-382.

Ronner 1978
Christel Ronner, „Die bildlichen Darstellungen im Atlas Marianus des Wilhelm Gumppenberg und eine Wallfahrtsbilderreihe in der Bischöflichen Sammlung Freiburg“, in: Freiburger Geschichtsblätter, Nr. 61, hrsg. vom deutschen geschichtsforschenden Verein des Kantons Freiburg, 1978, S. 175-187.

Schubiger 1994
Benno Schubiger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Solothurn. Die Stadt Solothurn I, Bd. 1, aus der Reihe „Die Kunstdenkmäler der Schweiz“, hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Basel: Wiese, 1994.

Serragli 1640
Silvio Serragli, La santa casa abbellita, Macerata: 1640.
Solothurner Anzeiger 1952
P. S. [Siegel], „Die Loretokapelle in neuem Kleide“, in: Solothurner Anzeiger, 12. April 1952, S. 2.

StASO
Staatsarchiv Solothurn

Strub 1959
Marcel Strub, Les monuments d’art et d’histoire du Canton de Fribourg. La ville de Fribourg, les monuments religieux (deuxième partie), Bd. 3, hrsg. von der Gesellschaft für Kunstgeschichte, Basel: Birkhäuser, 1959.

Strub 1964
Marcel Strub, Les monuments d’art et d’histoire du Canton de Fribourg. La ville de Fribourg, Bd. 1, hrsg. von der Gesellschaft für Kunstgeschichte, Basel: Birkhäuser, 1964.

Tobler 1991
Mathilde Tobler, „‘Wahre Abbildung’. Marianische Gnadenbildkopie in der Schweizerischen Quart des Bistums Konstanz“, Ausgabe der Zeitschrift Der Geschichtsfreund, Bd. 144, 1991.

Wind 1938
P. Siegfried Wind, Zur Geschichte des Kapuzinerklosters Solothurn. Gründungsgeschichte und Geschichte des Klosters während der ersten achtzig Jahre seines Bestandes, Solothurn: Selbstverlag des Kapuzinerklosters Solothurn, 1938.

(1) Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung meiner Lizentiatsarbeit "Die Loretokapelle in Solothurn. Analyse und Typologie einer Kapelle", am Kunsthistorischen Seminar der Universität Bern, Oktober 2006.

(2) Eine Zusammenfassung der Legende über das Heilige Haus von Loreto findet sich im KANJ, Mappe 340, Nr. 17.

(3) Massgebend für die Überlieferung des Marienlebens ist die Legenda Aurea von Jacobus de Voragine.

(4) StASO, Ratsmanual (RM) 1649, S. 478/479.

(5) Allein in der Schweiz sind über vierzig Nachbildungen nachgewiesen, von denen mehrere umfunktioniert worden sind. Vgl. P. Crescentino da S. Severino M., Chiese e cappelle di Loreto nella Svizzera, Loreto: Congregazione universale S. Casa, 1967.

(6) Dies geht sowohl aus der Stiftungsurkunde als auch aus einem Brief des Bischofs vom 15. Oktober 1649 hervor. Diverse Kopien und Abschriften des Dokuments aus dem Kapuzinerarchiv befinden sich im Archiv des Klosters Nominis Jesu in Solothurn (KANJ), Mappe 340.

(7) Die Schwestern mussten sich dazu verpflichten, alle Quatembertage drei Messen für die Toten und Lebenden zu lesen, und die Stiftung durfte niemals aus der Hand gegeben werden. Zudem sollte J. Schwaller das Vorrecht zustehen, jederzeit nach seinem Gutdünken Änderungen am Bau vorzunehmen. Abschrift der Stiftungsurkunde, KANJ, Mappe 340, Nr. 43.

(8) Ein Register, das auf unterschiedliche Blätter verweist, zählt einige Stiftungen auf. KANJ, Mappe 346, Nr. 55. 1669 wurde ein sogenannter „Pfrund“ für die Kapelle eingerichtet. Es ging dabei hauptsächlich um die Leihgabe von Kapitalien, die verzinst wurden. Der Zins brachte Einnahmen für das Kloster zur Erhaltung der Kapelle und den Lebensunterhalt des Kapellenpflegers ein, der sich um das Gebäude wie auch um die Messen kümmerte. StASO, RM 1669, Bd. 173, S. 302/303.

(9) StASO, St. Ursenprotokoll 1649, Bd. 8, S. 37.

(10) Der Nachweis für dieses Ereignis findet sich in der Inschrift im Inneren der Kapelle auf der Rückseite des Retabels. Vgl. auch Tobler 1991, S. 117.

(11) Abschrift der Urkunde aus dem KANJ, Mappe 340, nicht nummeriertes Dokument. Als weiterer Nachweis gilt die Inschrift auf der Rückseite des Retabels (vgl. dazu Anmerkung 20).

(12) StASO, RM 1615, Bd. 199, S. 346 und Abschrift der Stiftungsurkunde, KANJ, Mappe 340, Nr. 43.

(13) Wind 1938, S. 140/141 und 148. Noch ausführlicher ist das Ereignis im Wallfahrtsblatt von Mariastein beschrieben. Niederberger 1952, S. 58/59.

(14) Aus erster  Ehe gingen fünf Kinder hervor, darunter Pater Benedictus, Doktor des kanonischen Rechts und der Philosophie (HBLS 1931, S. 263; Niederberger 1952, S. 53, 56/57). Die Tochter Katharina war mit dem Silberwaren-, Korn- und Salzhändler Martin Besenval verheiratet (Amiet / Sigrist 1976, S. 259; Borrer 1933, S. 25) und der älteste Sohn Johannes war Vogt auf Bechburg und diente ab 1650 als Hauptmann im Garderegiment der französischen Krone (Niederberger 1952, S. 61).

(15) Vgl. HBLS 1931, S. 263; Niederberger 1952, S. 54; StASO, Ämterbesetzungsbuch der Stadt und Republik Solothurn, 1501-1798, S. 609.

(16) Bekannt ist einzig eine spätere Imitation der Solothurner Kapelle in Lichtensteig im Kanton St. Gallen.

(17) Im KANJ existiert eine Altarskizze, die Ähnlichkeiten zum Verkündigungsaltar aufweist. Vermutlich handelt es sich um eine Entwurfsskizze. KANJ, Mappe 345.
(18) In der Loretokapelle von Freiburg scheint eine solche Einrichtung noch erhalten zu sein.

(19) KANJ, Mappe 342, blaues Heft über die Renovation, S. 1/2, datiert 17. Mai 1887.

(20) Die Inschrift hinter dem Retabel („Ein Sonderbar Grosser Marianischer Liebhaber hat dises hl, Hauß Loreten Zù Ehren der / Göttlichen Mutter lassen Erneüeren A.° 1754. Eben in diesem Jahr ist Hochfeyrlich die hun: / :dert:jährige Gedächtnuß der in, A.° 1654 beschehener Einweihung der h. Capell gehalten worden.“) ist ein Hinweis auf die möglichen grossen baulichen Veränderungen, die am Retabel und im Bereich der Sakristei durchgeführt wurden.

(21) Als Hinweis gilt die Schwaller’sche Kartusche am Retabel.

(22) „Joachim Kaiser von Bettlach 30. Augst 1849“ (mit Kreide); „1849 Johann Hürler“; „Josef Walker, Gipser dem 10. Augst 1886 Luterbach Biberist“; „Johann Flue 10. Augst 1886“; „1888 Franz Ast ich gemacht“; „A Richaldi 1951“; „Alois Kaiser“ (ohne Datum). Zudem sind Hölzchen in Gips eingelassen: auf der Ostseite die Buchstaben MA und auf der Westseite IN, wobei das N seitenverkehrt ist. Weitere Namen sind nur noch zum Teil lesbar („Urs [...]“ und „Johann [...]“).

(23) KANJ, Mappe 342, blaues Heft über die Renovation, S. 8.

(24) Solothurner Anzeiger 1952, S. 2; Guldimann 1952, S. 158-161.

(25) Im Protokoll des Ausschusses der Kommission für Altertümer vom 14.3.1951 wird berichtet, dass beim Aufsetzen des Blechs die untere Ringschnürung der Kuppen verflacht sei. In: Archiv der Denkmalpflege Solothurn.

(26) Guldimann 1952, S. 160.

(27) Kommission für Altertümer, Anton Guldimann, Bericht über Innenrestaurierung der Loretokapelle in Solothurn, 11.9.1951. Siehe auch Brief von Werner Studer an die Altertumskommission des Kantons Solothurn vom 7.11.1951, in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn.

(28) Guldimann verweist darauf, dass das ehemalige Gitter Anfang des 19. Jahrhunderts eingezogen worden sei. Guldimann 1952, S. 160.

(29) Das neue Gewölbe aus Holzzementplatten wurde an Hetzerbindern am Dachstuhl aufgehängt, womit sich der Schub auf die Aussenmauern vermeiden liess. Architekt Werner Studer an die Kommission für Altertümer des Kantons Solothurn, 7.9.1951, in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn.

(30) Baujahr und Aussehen der Empore sind weitgehend unbekannt.

(31) Blank 1999, S. 110/111.

(32) Alfieri / Forlani / Grimaldi 1967, S. 81-86.

(33) Flögel 1984, S. 16.

(34) Abbildungen verschiedener Pläne wie auch ein Modell sind in Flögels Dissertation abgebildet. Vgl. Flögel 1984, S. 39/40, 111 ff.

(35) Flögel 1984 S. 17.

(36) Horat 1982, S. 126.

(37) Ronner 1978, S. 175-187.

(38) Pötzl 1979, S. 16.

(39) Tobler 1991, S. 115. Siehe dazu auch Flögel 1984, S. 26; Matsche 1978, S. 82; Pötzl 1984, S. 377.

(40) Ronner 1978, S. 175-187.

(41) Tobler 1991, S. 119. Der Bericht ist nicht datiert. Horat geht jedoch davon aus, dass er vor dem Bau der Kapelle in Hergiswald entstanden ist. Horat 1982, S. 127/128.

(42) Hier Klostervorsteher.

(43) In Freiburg besteht zusätzlich nach italienischem Vorbild eine Blendtüre.

(44) Eine detaillierte Beschreibung der Ummantelung in Strub 1959, S. 346.

(45) Bitterli 2000, S. 21.

(46) Strub 1959, S. 343.

(47) Moos 1946, S. 362.

(48) Alfieri / Forlani / Grimaldi 1967, S. 93.

(49) Strub 1964, S. 346/347.

(50) Vor 1952 hatte auch in Solothurn ein hohes Gitter bestanden.

(51) Am 26. August 1615 wurde festgehalten, dass Johann Schwaller eine Pilgerfahrt nach Rom unternehmen werde. StASO, RM 1915, Bd. 119, S. 346.

Illustrations

1
Abb. 1: Loretokapelle mit Stationenweg von 1650 (Aufnahme H. Fluri, Niederbipp, in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn).
2
Abb. 2: Solothurner Stadtprospekt von Sigmund Schlenrit nach Urs Küng, 1653, Detail (in: Schubiger 1994, S. 78).
3
Abb. 3: Turmansicht der Loretokapelle
4
Abb. 4: Gnadenbild auf dem Turmhelm (Aufnahme W. Heri, Solothurn, in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn).
5
Abb. 5: Grundriss der Kapelle, Plan von 1951 (in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn).
6
Abb. 6: Altaransicht (Aufnahme von J. Stauffer, Langenthal, 2007, in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn).
7
Abb. 7: Der Heilige Kamin (in: Tobler 1991, S. 116).
8
Abb. 8: Verkündigungsaltar in der Turmkapelle (Aufnahme J. Stauffer, Langenthal, 2007, in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn).
9
Abb. 9: Altaransicht von 1950 (Aufnahme W. Heri, Solothurn, in: Archiv der Denkmalpflege Solothurn).
10
Abb. 10: Ummantelung des Heiligen Hauses in Loreto (in: Grimaldi 1975, S. 88).
11
Abb. 11: Grundriss des Heiligen Hauses in Loreto von Silvio Serragli, 1640 (in: Serragli 1640, S. 94-95).
12
Abb. 12: Grundriss, Aufriss der Innenwände und Altaransicht des Heiligen Hauses von Loreto von Piertro Valerio Martorelli, 1733 (in: Tobler 1991, S. 112).
13
Abb. 13: Loretokapelle in Freiburg, mit Ummantelung (Aufnahme M. D’Alessandro, 2006).
14
Abb. 14: Altar und Retabel der Loretokapelle in Freiburg (Aufnahme M. D'Alessandro, 2006).
15
Abb. 15: Retabel und Gewölbe der Loretokapelle in Hergiswald (Aufnahme M. D'Alessandro, 2006).