Die Kanonisierung des westislamischen Sakralbaus
756 liess sich der aus Syrien geflohene Umaiyade Abd ar-Rahman I. zum Emir von al-Andalus proklamieren und begründete das "goldene Zeitalter" des spanischen Islam (1). Vom abbasidischen Kalifat Bagdads politisch weitgehend unabhängig, entsteht an der Peripherie der damaligen islamischen Welt ein westumaiyadisches Machtzentrum. Die von den Abbasiden 750 gestürzte syrische Dynastie wird weit weg von ihrer Heimat rehabilitiert (2).
Hauptstadt des neuen Reiches wird Córdoba. Hier lässt Abd ar-Rahman I. um 785, rund dreissig Jahre nach seinem Machtantritt, die damalige Moschee durch einen Neubau ersetzen (3). Mit ihrer über zweihundertjährigen Baugeschichte ist die Cordobeser Hauptmoschee unbestrittenes Hauptwerk der westislamischen Architektur. Als erster und sicherlich wichtigster Grossbau von al-Andalus dokumentiert sie die Bedeutung der Stadt als mittelalterliche Kulturmetropole und ab 929 Sitz des westumaiyadischen Kalifats (4).
Zur Terminologie
Bevor wir uns der Cordobeser Moschee und ihrer etapenreichen Baugeschichte zuwenden, sind einige allgemeine Bemerkungen zu machen. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, der Frage nach der Kanonisierung des westislamischen Sakralbaus nachzugehen. Dabei will Kanonisierung nach griechischen kanonízein als „in den Kanon aufnehmen“ verstanden werden. Das griechische Kanon wiederum kann als „Regel, Vorschrift, Gesetz aber auch Muster, Vorbild und Norm“ übersetzt werden (5). Eine Reihe von Motiven bestimmen den Typus und die charakteristischen Merkmale einer Moschee. An erster Stelle sind dies der Grund- und Aufriss, die Anlage des Hofes, die verwendeten Baumaterialien, das Dekorprogramm oder das Vorhandensein bzw. Fehlen eines Minaretts. Wichtigstes Element eines islamischen Betsaals ist seit der umaiyadischen Erneuerung der Grossen Moschee von Medina um 705 die Gebetsnische, der sogenannte Mihrab (6). Ihm kommt nicht nur die grösste liturgische Bedeutung zu, ihm wird auch die kostbarste Ausstattung zuteil. Hier werden die architektonischen Anstrengungen gebündelt, hier überschneiden sich die Sphären des Sakralen und Profanen, des Gebets und der Machtdemonstration, hier wollen wir die Kanonisierung des westislamischen Sakralbaus untersuchen.
Der Cordobeser Moschee-Neubau und seine über 200-jährige Baugeschichte
Abd ar-Rahman I. liess den 11-schiffigen Neubau an der Stelle der arabischen Quellen zufolge von den Muslimen anfangs mitbenutzten Kathedrale San Vicente errichten (7). Vieles weist im Cordobeser Gründungsbau ins ostumaiyadische Syrien. So auch der Grundriss des zwölf Joche tiefen Betsaales. Wie in der ostumaiyadischen Moschee von Damaskus zeichnet sich der Cordobeser Betsaal durch ein breites und überhöhtes Mittelschiff aus. Anders als dort aber, sind in Córdoba in Anlehnung an die ebenfalls umaiyadische al-Aqsa-Moschee von Jerusalem senkrecht auf die Qibla zulaufende Längsschiffe angelegt. An ihrem Endpunkt erscheint der Mihrab, Fokus einer jeden Moschee. Hier erfährt der Bau seinen liturgischen und architektonischen Höhepunkt (Abb. 1).
Zwischen 833 und 848 erweiterte Abd ar-Rahman II. den zu klein gewordenen Betsaal um acht Joche nach Süden (8). Die Grunddisposition des Gründungsbaus, das breite und überhöhte Mittelschiff und die auf die Qibla zulaufenden Längsschiffe wurden beibehalten. Die ursprüngliche Gebetsnische Abd ar-Rahmans I. aber fiel der Betsaalerweiterung zum Opfer. Beim Durchbruch der Qibla wurde sie zerstört. Von dem unter Abd ar-Rahman II. entstandenen Mihrab, der bei der zweiten Betsaalerweiterung des 10. Jh. eingerissen werden musste, haben sich zumindest die Doppelsäulen erhalten, die den Zugang zu der Apsisartig aus der Qibla heraustretenden Nische flankiert haben (9). Versetzt an den unter al-Hakam II. entstandenen dritten Mihrab, zeugen sie noch heute von der Pracht der verlorenen Gebetsnische Abd ar-Rahmans II.
Unter Abd ar-Rahman III., der am 16. Januar 929 in Córdoba den Kalifentitel annahm (10), fand die zweite Erweiterungskampagne statt. Von seinem ehrgeizigen Bauprogramm konnte er selbst nur die Vergrösserung des Moscheehofes und den Neubau des Minaretts verwirklichen, das zum Symbol des neu eingerichteten westumaiyadischen Kalifats werden sollte. Seinem Sohn und Nachfolger al-Hakam II. war es vorbehalten, den Betsaal zu vergrössern und prachtvoll auszustatten.
Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung im Oktober 961 befahl dieser die Erweiterung des Betsaales um zwölf Joche nach Süden. Mit den Arbeiten wurde im Juli 962 begonnen, die Mihrabkuppel war 965, die Mosaiken, als wohl spätestes Dekor-Ensemble 971 vollendet (11). Trotz der zahlreichen Neuerungen, die diese zweite Betsaalerweiterung auszeichnen, hielt sich auch al-Hakam II. an das vom Gründungsbau vorgegebene Schema mit senkrecht auf die Qibla zulaufenden Längsschiffen und breitem, überhöhtem Mittelschiff. Überlagert von dem spätestens um 780 in der al-Aqsa-Moschee von Jerusalem vorgeformten, gerichteten T-Typ, zeichnet sich die al-Hakam-Erweiterung durch ein zwei Joche tiefes Qibla-Transept aus, in das das auf den Mihrab zulaufende Mittelschiff rechtwinklig einschneidet (12). Kernstück der al-Hakam-Erweiterung ist die der Qibla vorgelagerte Herrscherloge, die sogenannte Maqsura. Diese wird beherrscht von der überreichen Mihrabfassade, die den Zugang zur Gebetsnische, in Córdoba als oktogonaler Raum ausgebildet, weithin sichtbar macht.
Obwohl es nur wenige Jahre nach der Vollendung der al-Hakam-Erweiterung unter Muhammad Ibn Abi Amir, genannt al-Mansur, dem allmächtigen Grosskämmerer Hishams II., 987/988 zu einer erneuten Vergrösserung des Betsaales kommen sollte (13), blieb der Mihrab al-Hakams II. unbestrittenes Zentrum des inzwischen riesenhaft angewachsenen Moscheebaus.
Grundkomponenten der Cordobeser Mihrabfassade sind der den Nischenzugang überfangende, auf zwei Doppelsäulen fussende rundbogige Hufeisenbogen mit alternierendem Keilsteindekor, die den Bogen umgebende rechtwinklige Alfizrahmung, der darüber liegende, waagrechte sowie der dreischenklig umgeführte Inschriftenfries und die bekrönende Blendarkade (Abb. 2).
Marmorinkrustation, skulpierte Alabasterpaneele, goldgrundiges, in ostumaiyadischer Tradition stehendes Mosaik und ursprünglich bemalter Stuck sind zu einer Komposition von nie da gewesener Pracht gesteigert. Das Cordobeser Kalifat ist auf seinem politischen und kulturellen Höhepunkt. Und dies sollte nachwirken.
Córdoba und das nachkalifale al-Andalus
1031 zerfällt das westumaiyadische Kalifat. Das Territorium von al-Andalus wird in rund dreissig Kleinfürstentümer aufgesplittert, die sogenannten Taifas. Córdoba verliert seinen Rang als Kulturmetropole an Sevilla, Toledo und Zaragoza (14). Hier errichtet Abu Ja’far von der Banu Hud, der dem Fürstentum Zaragoza zum Höhepunkt seiner politischen Macht und kulturellen Blüte verhilft, zwischen 1049 und 1082 ausserhalb der Stadtmauern die Aljafería, ein befestigtes Schloss, nach dem Vorbild ostumaiyadischer Wüstenschlösser mit zugehöriger Moschee (15).
Wie bei den ostislamischen Beispielen, zeichnet sich auch in Zaragoza eine zentrale, dem repräsentativen Herrscherbereich entsprechende Raumfolge ab, der sogenannte Diwan: getrennt von einem Hof stehen sich Nord- und Südportikus gegenüber. Der Thronsaal wird in dem durch die Nordportikus erschlossenen Nordsaal vermutet. Die Moschee, die mit ihrem oktogonalen, christlich beeinflussten Grundriss einen Sonderfall innerhalb des westislamischen Sakralbaus bildet, ist der Nordportikus östlich angefügt (Abb. 3).
Mit ihren gemischtlinigen Bogen, dem überreichen Stuckdekor und dem zum rapportierenden Ornament gesteigerten System sich kreuzender Bogen dokumentiert die Moschee der Aljafería die taifazeitlichen Neuerungen. Diesen scheint sich die Gebetsnische, das eigentliche Zentrum des Betsaales, grösstenteils zu entziehen. Wie in Córdoba wird auch hier der Nischenzugang von einem auf zwei Doppelsäulen fussenden rundbogigen Hufeisenbogen mit alternierendem Keilsteindekor überfangen, gerahmt von einem Alfiz, bekrönt von einem waagrechten Inschriftenfries (Abb. 4).
Der Mihrab al-Hakams II. scheint zu bedeutend zu sein, um ignoriert werden zu können. An seiner Grundstruktur festhaltend, werden die Vorgaben dem neu geschaffenen Betsaal angepasst: die Cordobeser Mihrabfassade wird auf das zentrale Motiv, Doppelsäule, Hufeisenbogen, Alfiz und waagrechter Inschriftenfries reduziert, der Hufeisenbogen erfährt eine optische Verjüngung, die goldgrundigen Mosaiken werden durch Stuck ersetzt. Und dennoch wird der Eintretende unweigerlich an Córdoba und seinen Mihrab erinnert.
Die Wiederaufnahme der Reconquista durch die christlichen Fürsten des Nordens, allen voran Alfonso VI. von León und Kastilien, der die Uneinigkeit und Zersplitterung des islamischen Spaniens nutzte und 1085 Toledo zurückeroberte, veranlasste die Taifa-Fürsten die nordafrikanischen Almoraviden, eine aus der westlichen Sahara stammende berberische Reformbewegung, um Hilfe zu rufen. Yusuf ibn Tashufin marschierte in al-Andalus ein und schlug Alfonso VI. bei az-Zallaqa (Sagrajas) in der Nähe von Badajoz vernichtend. Die Annektierung der spanisch-islamischen Kleinfürstentümer durch die Almoraviden, die neue Macht im islamischen Westen, setzte allerdings erst 1090 ein. Bis zu seinem Tod 1106 konnte Yusuf ibn Tashufin fast das ganze islamische Spanien unter seine Kontrolle bringen (16).
Die in besonderem Masse von seinem Sohn und Nachfolger Ali ibn Yusuf forcierte „pro-spanische“ Kulturpolitik schaffte es, die Kunstauffassung von al-Andalus im Maghreb zu etablieren (17). Der Mihrab der grossen Moschee von Tlemcen, Teil der unter Ali ibn Yusuf 1136 realisierten Neuausstattung des Betsaales, legt davon noch heute Zeugnis ab (18).
Wir erkennen die Cordobeser Grundstruktur wieder: den auf einer Marmorsäule fussenden rundbogigen Hufeisenbogen mit alternierendem Keilsteindekor, den rahmenden Alfiz, den waagrechten sowie den dreischenklig umlaufenden Inschriftenfries und die bekrönende Blendarkade (Abb. 5).
Im Unterschied zu Córdoba wurde das den Nischenzugang flankierende Säulenpaar auf eine Säule reduziert, die Aussenkontur des an Zaragoza erinnernden Hufeisenbogens ist mehrpassförmig aufgebrochen, der dreischenklig umlaufende Inschriftenfries wird verdoppelt und ornamental aufgewertet. Und auch die abschliessende Blendarkade lässt Neues erkennen: eine zentrale Fensteröffnung mit feingliedriger Transenne ist zwischen die Blendbogen gesetzt. Wie in Zaragoza fand eine Adaptation der Cordobeser Vorgaben statt. Der Mihrab al-Hakams II. bleibt aber auch nach über 150 Jahren verbindlich.
Und daran ändern auch die Almohaden nichts. Wie die Almoraviden eine berberische Reformbewegung, diesmal aber vom Hohen Atlas ausgehend, gelingt es den Almohaden unter der Führung ihres ersten Kalifen Abd al-Mu’mins die verhasste Dynastie der Almoraviden in den Jahren 1143-1147 in Marokko zu stürzen, weite Teile Spaniens zu erobern und schliesslich in der zweiten Jahrhunderthälfte den gesamten Maghreb erstmals unter einer Macht zu vereinen (19).
1153/1154 gibt Abd al-Mu’min den Auftrag zum Bau der im Hohen Atlas gelegenen Grossen Moschee von Tinmal, an der Wirk- und Sterbestätte Ibn Tumarts, des Begründers der almohadischen Bewegung (20).
Ein Blick auf den Mihrab lässt die Erinnerung an das Cordobeser Kalifat wiederaufleben: Auf zwei Doppelsäulen fusst der den Nischenzugang überfangende Hufeisenbogen, eingepasst in einen rahmenden Alfiz. Ein dreischenkliger Fries umgibt das zentrale Bogenmotiv, eine Blendarkade schliesst die Komposition oben ab (Abb. 6).
Die Cordobeser Vorgaben werden auch in Tinmal verändert. Erstmals ist der rundbogige Hufeisenbogen im Scheitel aufgebrochen. Seine Aussenkontur ist wie in Tlemcen mehrpassförmig belebt. Der alternierende Keilsteindekor entfällt genauso wie der auf dem Alfiz fussende, waagrechte Inschriftenfries. Der dreischenklig umgeführte Fries wird dagegen übernommen, lässt aber den für almohadische Bauten üblichen, grossflächigen geometrischen Stuckdekor erkennen. Der zentralen Fensteröffnung der Tlemcener Mihrabfassade wurden in Tinmal zwei flankierende Fenster zur Seite gestellt. Trotz dieser Änderungen ist der Verweis auf die Cordobeser Gebetsnische auch hier unmissverständlich. Fern von ihrer Heimat, im abgelegenen Atlasgebirge, wird sie zum Zentrum der Gedenkstätte einer neuen Macht.
Der Mihrab als Ort der Legitimation
Begeben wir uns nochmals nach Córdoba. Wie eingangs erwähnt wurde, sind die Gebetsnischen des Gründungsbaus und der ersten Erweiterung unter Abd ar-Rahman II. zerstört und lassen sich auch anhand literarischer Quellen nicht rekonstruieren. Was erhalten ist, ist der dritte, rund 200 Jahre nach der Moscheegründung im 8. Jh. entstandene Mihrab al-Hakams II. aus dem 10. Jh.
Bereits 1957 wies Leopoldo Torres Balbás im fünften Band der Historia de España auf die Ähnlichkeit der neugeschaffenen Mihrabfassade mit dem sogenannten Ministertor (Bab al-wuzara’), der heutigen Puerta de San Sebastián/Esteban, an der Westfassade des Gründungsbaus hin (21).
Unter Abd ar-Rahman I. im 8. Jh. entstanden und um 855/56 von dessen Sohn und Nachfolger Muhammad I. in Teilen erneuert, lässt das Tor dieselbe Grundstruktur erkennen: ein rundbogiger Hufeisenbogen mit alternierendem Keilsteindekor überfängt den Moscheezugang, umgeben von einem rahmenden Alfiz, überfangen von einer Blendarkade. Die Cordobeser Mihrabfassade wird hier, am Gründungsbau, vorweggenommen (Abb. 7).
Und so stehen wir vor der Frage, weshalb al-Hakam II., der bei seiner Betsaalerweiterung durch eine Vielzahl von Neuerungen bisher unbeschrittene Wege begeht, man denke nur an die Gewölbe oder die Systeme sich kreuzender Bogen, bei der Mihrabfassade aber, dem unbestrittenen Zentrum des neugeschaffenen Betsaales, auf ein rund 200-jähriges Modell zurückgreift?
Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Indem al-Hakam II. auf den Gründungsbau Bezug nimmt, nimmt er auch auf Abd ar-Rahman I. Bezug, den aus Syrien geflohenen Gründer der westumaiyadischen Dynastie. Auf ihn geht der Bau der Grossen Moschee von Córdoba zurück, auf ihm fusst die Stellung und Macht al-Hakams II.
Erinnern wir uns nochmals an Zaragoza. Wir haben gesehen, wie ein archaisch wirkender Mihrab die Folge gemischtliniger Bogen in der Moschee der Aljafería unterbricht. Wie zuvor al-Hakam II., sucht auch Abu Ja’far, Herrscher über ein im Grunde politisch machtloses Kleinfürstentum, Legitimation. Und diese findet er nirgends besser als in der Grossen Moschee von Córdoba, dem Denkmal einer inzwischen gefallenen Grossmacht.
Blicken wir nach Nordafrika. Zwei neue Mächte lösen sich im Maghreb des 12. Jh. ab. Die Almoraviden, Sahara-Nomaden, und die Almohaden, Bergbauern aus dem Hohen Atlas. Beide streben die ehemals vom Cordobeser Kalifat innegehaltene Machtposition an. Nacheinander gelingt es ihnen, die Herrschaft über weite Teile des Maghrebs und das andalusische Kerngebiet zu erlangen. Und so müssen sie sich auch architektonisch dem Cordobeser Kalifat angleichen.
Zwangsläufig fühlt man sich hier an die Anfänge islamischer Architektur im Osten erinnert. „L’islam arabe, religion sans art“, überschrieb Henri Terrasse die Situation ganz richtig (22). In der Tat verfügten die arabischen Nomaden, wie nach ihnen die Almoraviden und Almohaden, über eine eigene Religion, den noch jungen Islam, eine eigene Baukunst aber konnten sie nicht vorweisen. Und so bedienten sie sich der Architektur der eroberten Gebiete (23).
Im islamischen Westen sieht es ähnlich aus. Die almoravidischen Bauten Ali ibn Yusufs übernehmen die spanisch-islamischen Vorgaben beinah ungefiltert. In der Mehrzahl der Fälle von andalusischen Werkstätten ausgeführt, spiegeln sie die taifazeitliche Architektur Spaniens wider und führen sie fort. Und noch immer ist Córdoba die alles bestimmende Konstante.
In Telmcen liess Ali ibn Yusuf die beinah zwei Jahrhunderte alte Cordobeser Mihrabfassade wieder auferstehen. Wie vor ihm Abu Ja’far, knüpft auch er bewusst an das alte Machtzentrum an. Und daran hält sich auch der Almohade Abd al-Mu’min und stattet die Grosse Moschee von Tinmal mit einer ’Replik’ des Cordobeser Mihrabs aus.
Die Kanonisierung des westislamischen Sakralbaus
Wie oben erwähnt wurde, kann das griechische Wort Kanon unterschiedlich übersetzt werden. Auf Córdoba und seine Gebetsnische angewandt, scheinen alle seine Facetten zuzutreffen: der Mihrab al-Hakams II. wird zur Regel, zur Vorschrift, gar zum Gesetz, er ist Muster, Vorbild und Norm. Anders aber als Polyklets Doryphoros, „Musterfigur“ seiner theoretischen Schrift (24), der aufgrund seiner formalen Ausgewogenheit zum Kanon hochklassischer Plastik wurde, sind es in Córdoba die historischen und machtpolitischen Implikationen, die die Moschee zum Referenzwerk und ihren Mihrab zum Sinnbild politischer und kultureller Vormachtstellung machten. Denken wir an die eingangs gestellte Frage nach der Kanonisierung des westislamischen Sakralbaus, so kann es nur eine Antwort geben: Córdoba und seine Moschee werden zum Kanon des westislamischen Sakralbaus und die Übernahme Cordobeser Vorgaben führt zur Kanonisierung einer ganzen Bautradition.
Literatur
Ahunbay/Ahunbay 1992
Metin Ahunbay, Zeynep Ahunbay, “Structural Influence of Hagia Sophia on Ottoman Mosque Architecture”, in: Hagia Sophia from the Age of Justinian to the Present, hrsg. von Robert Mark und Ahmet S. Çakmak, Cambridge: University Press, 1992.
Charles 1930
Martin A. Charles, „Hagia Sophia and the Great Imperial Mosques“, in: Art Bulletin, Bd. XII, 1930.
Egli 1954
Ernst Egli, Sinan. Der Baumeister osmanischer Glanzzeit, Erlenbach-Zürich: Verlag für Architektur, 1954.
Goodwin 1993
Godfrey Goodwin, Sinan. Ottoman Architecture and its Values, London: Saqi Books, 1993.
Goodwin 2003
Godfrey Goodwin, A History of Ottoman Architecture, Reprint der Paperback Edition [Erstausgabe 1971, erste Paperback Edition 1987], London: Thames & Hudson, 2003.
Kuban 1997
Dogan Kuban, Sinan’s Art and Selimiye, Istanbul: The Economic and Social History Foundation, 1997.
Kuran 1987
Aptullah Kuran, Sinan. The Grand Old Master of Ottoman Architecture, Washington: Institute of Turkish Studies, 1987.
Necipoglu 2005
Gülru Necipoglu, The Age of Sinan. Architectural Culture in the Ottoman Empire, London: Reaktion Books, 2005.
Restle 1997
Marcel Restle, “Die Hagia Sophia und die Istanbuler Moscheen”, in: Die Hagia Sophia in Istanbul. Akten des Berner Kolloquiums vom 21. Oktober 1994, hrsg. von Volker Hoffmann, Bern: Peter Lang, 1997.
Sauermost/von der Mülbe 1981
Heinz Jürgen Sauermost, Wolf-Christian von der Mülbe, Istanbuler Moscheen, München: Verlag F. Bruckmann, 1981.
Stierlin 1985
Henri Stierlin, Soliman et l’Architecture ottomane, Fribourg: Office du Livre, 1985.
Vogt-Göknil 1993
Ulya Vogt-Göknil, Sinan, Tübingen und Berlin: Ernst Wasmuth Verlag, 1993.
Note
(1) Vgl. Golzio 1997, S. 4.
(2) Die Erneuerung der umaiyadischen Herrschaft durch Abd ar-Rahman I. und seine Nachfahren in al-Andalus ist Gegenstand der 2000 erschienen Untersuchung von Janina M. Safran, vgl. Safran 2000.
(3) Zur Grossen Moschee von Córdoba vgl. die zusammenfassende Übersicht bei Ewert u.a. 1997, S. 70-81 mit weiterführender Literatur.
(4) Zur Bedeutung des mittelalterlichen Córdobas und seiner Moschee vgl. Hillenbrand 1992.
(5) Übersetzung gemäss Langenscheidt 1986, S. 238.
(6) Vgl. Hillenbrand 1994, S. 45-46.
(7) Der Bericht einer Mitbenutzung der einstigen Kathedrale San Vicente durch die Muslime stösst bei vielen Fachleuten auf Skepsis, vgl. dazu etwa Hillenbrand 1992, S. 113-114 sowie ausführlicher Nieto Cumplido 1998, S. 35-46.
(8) Vgl. Ewert u.a. 1997, S. 71.
(9) Vgl. Ibn Idari 1904, S. 393.
(10) Golzio 1997, S. 10.
(11) Ibn Idari 1904, S. 392, 398. Creswell 1940, Bd. 2, S. 143-144. Ewert 1968, S. 5 sowie Ocaña Jiménez 1976, S. 51.
(12) Zur al-Aqsa-Moschee und ihrer Bedeutung für den gerichteten T-Typ vgl. Ewert u.a. 1997, S. 73-74 sowie ausführlicher Ewert/Wisshak 1981, S. 12-23.
(13) Vgl. Ibn Idari 1904, S. 477 sowie Ewert u.a. 1997, S. 79.
(14) Vgl. Golzio 1997, S. 13-15.
(15) Zur Aljafería von Zaragoza vgl. Ewert u.a. 1997, S. 99-106 mit weiterführender Literatur.
(16) Vgl. Golzio 1997, S. 15-17.
(17) Terrasse 1958, S. 31.
(18) Zur Grossen Moschee von Tlemcen vgl. Marçais 1903, S. 140-161.
(19) Vgl. Golzio 1997, S. 17-23.
(20) Zur Grossen Moschee von Tinmal vgl. Ewert u.a. 1997, S. 112-115 mit weiterführender Literatur.
(21) Torres Balbás 1957, S. 530. Zur Puerta de San Sebastián/Esteban vgl. im Übrigen Brisch 1965, Fernandez-Puertas 1980 sowie Ewert u.a. 1997, S. 123-124.
(22) Terrasse 1932, S. 4.
(23) Vgl. Creswell 1969, Bd. 1-1, S. 64 sowie Grabar 1978, S. 207.
(24) Fuchs 1993, S. 86.
Illustrazioni
Abb. 1. Córdoba, Grosse Moschee, Grundriss (Ewert).
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Abb. 2. Córdoba, Grosse Moschee, al-Hakam-Erweiterung, Mihrab.
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Abb. 3. Zaragoza, Aljafería, Grundriss (Ewert).
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Abb. 4. Zaragoza, Aljafería, Moschee, Mihrab.
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Abb. 5. Tlemcen, Grosse Moschee, Mihrab.
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Abb. 6. Tinmal, Grosse Moschee, Mihrab.
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Abb. 7. Córdoba, Grosse Moschee, Gründungsbau, Puerta de San Sebastián.
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